
Assistierter Suizid: Einrichtungen dürfen nicht gezwungen werden
Gesundheitseinrichtungen in Österreich dürfen nicht verpflichtet werden, assistierten Suizid anzubieten. Darauf hat der Wiener Sozialrechtsexperte Wolfgang Mazal im Gespräch mit dem Bioethikinstitut IMABE hingewiesen. Der Gesetzgeber habe im Sterbeverfügungsgesetz ausdrücklich das Prinzip der Freiwilligkeit verankert - für Individuen ebenso wie für Einrichtungen, betonte Mazal. "Auch juristische Personen haben ein Gewissen, das geschützt werden muss", so der Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Wien.
Eine Einrichtung zu zwingen, gegen ihr Selbstverständnis zu handeln, widerspreche fundamentalen Grundrechten wie der Glaubens- und Gewissensfreiheit, erläuterte Mazal. Er zog einen Vergleich zum Konsumentenschutz: So wie Konsumentinnen und Konsumenten erwarten dürfen, dass ein Unternehmen klar kommuniziert, welche Leistungen es anbietet, müsse auch bei der Betreuung am Lebensende Transparenz herrschen. Niemand verlange von einem veganen Restaurant, Fleisch zu servieren, betonte der Jurist.
Wenn also konfessionelle Träger den assistierten Suizid aus ethischen Gründen ablehnen, sind sie laut Mazal dabei durch das aktuelle Grundrechtsverständnis gut geschützt. "Es wäre verfassungswidrig, zum Beispiel eine Ordensgemeinschaft mit einem Gesetz dazu zu zwingen, etwas zu tun, das ihrem Selbstverständnis widerspricht - vor allem, wenn dieses Selbstverständnis durch die Glaubens- und Gewissensfreiheit geschützt ist", so der Experte. Auf dieselbe Weise sei auch wirtschaftlicher Druck verboten. "Wer etwa droht, Förderungen zu streichen, wenn eine Einrichtung bestimmte Leistungen nicht anbietet, überschreitet eine rote Linie."
Demokratiepolitische Gefahren
Mazal warnte zugleich vor demokratiepolitischen Gefahren bei einer zu laxen Handhabung der gesetzlichen Vorgaben zum assistierten Suizid: Wenn Recht und Schutzmechanismen nicht ernst genommen würden, untergrabe dies das Vertrauen in den Rechtsstaat. "Das Parlament hat bewusst eine enge gesetzliche Regelung geschaffen. Wer sich über diese hinwegsetzt, nimmt den demokratischen Gesetzgebungsprozess nicht ernst", mahnte Mazal. Weiters forderte der Experte eine unabhängige, wissenschaftliche Beobachtung der Gesetzesanwendung, durch die erst beurteilt werden könne, ob das Gesetz seine Ziele erreicht oder ob Nachbesserungen nötig sind.
Der Verfassungsgerichtshof hatte im Dezember 2024 mehrere Beschwerden gegen das Sterbeverfügungsgesetz abgewiesen und die gesetzliche Schutzarchitektur ausdrücklich bestätigt. Dieses klare Bekenntnis müsse respektiert werden, forderte Mazal. Gesellschaftliche Gruppen, die politische Änderungen anstrebten, sollten den mühsam errungenen parlamentarischen Kompromiss achten und nicht versuchen, durch fortwährendes Lobbying die demokratisch legitimierte Ordnung auszuhöhlen. Entscheidungen zu hochkontroversen Themen "erst dann wieder aufzugreifen, wenn sich die Rahmenbedingungen tatsächlich grundlegend verändert haben", sei Frage des demokratischen Anstands.
Kritik an "Kultur des Wegschauens"
Besorgt zeigte sich Mazal über erste Hinweise auf eine "Kultur des Wegschauens" bei möglichen Missbrauchsfällen im Umfeld von assistiertem Suizid: In Fällen, wo das Personal beobachtet, dass subtiler Druck von Angehörigen ausgeübt wird, müsste dies gemeldet werden - was jedoch nicht immer geschehe. Recht und Schutzmechanismen könnten nur wirken, wenn sie von allen Seiten ernst genommen und aktiv umgesetzt würden, unterstrich der Wiener Sozialrechtler. "Ignoriert man die Vorgaben, gefährdet dies sowohl das Vertrauen in die Gesetze als auch die Würde und Sicherheit Betroffener."
(Link zum Interview: https://www.imabe.org/bioethikaktuell/einzelansicht/sterbehilfe-in-oesterreich-auch-einrichtungen-haben-ein-gewissen-das-geschuetzt-werden-muss)
Quelle: kathpress