
Papst Leo XIV. beklagt in seiner ersten Predigt Verlust des Glaubens
In seinem ersten Gottesdienst als Papst hat Leo XIV. die "dramatischen Begleiterscheinungen" eines Mangels an Glauben beklagt und dazu aufgerufen, den Glauben auch in schwierigen Umfeldern zu bezeugen. Der Sinn des Lebens gehe verloren, die Barmherzigkeit werde vergessen und die Würde des Menschen "in den dramatischsten Formen verletzt", sagte das neu gewählte Kirchenoberhaupt. Er sprach in einer Predigt vor dem Kardinalskollegium am Freitag im Rahmen eines Gottesdienstes in der Sixtinischen Kapelle. Weiter nannte er "die Krise der Familie und viele andere Wunden, unter denen unsere Gesellschaft nicht unerheblich leidet."
Die Predigt im Wortlaut |
Ich beginne mit einigen Worten in Englisch und setze dann auf Italienisch fort. Aber ich möchte die Worte des Antwortpsalms wiederholen: "Ich will dem Herrn singen ein neues Lied, denn er hat wunderbare Taten vollbracht." Und tatsächlich gilt das nicht nur für mich, sondern für uns alle. Meine Mitbrüder Kardinäle, während wir diesen Morgen feiern, lade ich euch ein, über die Wunder nachzudenken, die der Herr vollbracht hat, und über die Segnungen, die der Herr weiterhin über uns alle ausgießt durch das Petrusamt. "Ihr habt mich berufen, dieses Kreuz zu tragen und diese Sendung zu erfüllen. Und ich weiß, dass ich auf jeden von Euch zählen kann, mit mir gemeinsam zu gehen, damit wir als Kirche, als eine Gemeinschaft von Freunden Jesu und als Gläubige, weiterhin die Frohe Botschaft und das Evangelium verkünden." (Weiter auf Italienisch): "Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes" (Mt 16,16). Als Petrus zusammen mit den anderen Jüngern vom Meister nach seinem Glauben an ihn gefragt wird, bringt er in verdichteter Form zum Ausdruck, was die Kirche durch die apostolische Nachfolge seit zweitausend Jahren als Erbe bewahrt, vertieft und weitergibt. Jesus ist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, das heißt der einzige Erlöser. Er offenbart das Antlitz des Vaters. Um den Menschen nahe und ihnen zugänglich zu sein, hat Gott sich uns in den vertrauensvollen Augen eines Kindes, im lebendigen Geist eines Jugendlichen, in den reifen Zügen eines Mannes offenbart (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 22), bis er schließlich den Seinen nach der Auferstehung in seiner verherrlichten Gestalt erschien. So hat er uns ein Vorbild für ein heiliges menschliches Leben gegeben, das wir alle nachahmen können, zusammen mit der Verheißung einer ewigen Bestimmung, die hingegen alle unsere Grenzen und Fähigkeiten übersteigt. Petrus hält in seiner Antwort beides fest: die Gabe Gottes und den Weg, den man gehen muss, um sich von ihr verwandeln zu lassen. Dies sind zwei untrennbare Dimensionen der Erlösung, die der Kirche anvertraut sind, damit sie sie zum Wohl der Menschheit verkündet. Sie sind uns anvertraut, die wir von ihm auserwählt wurden, bevor wir im Mutterleib geformt wurden (vgl. Jer 1,5), die wir im Wasser der Taufe wiedergeboren und über unsere Grenzen hinaus und ohne unser Verdienst hierhergeführt und von hier ausgesandt worden sind, damit das Evangelium allen Geschöpfen verkündet werde (vgl. Mk 16,15). In besonderer Weise vertraut Gott, indem er mich durch eure Wahl zum Nachfolger des Ersten der Apostel berufen hat, diesen Schatz mir an, damit ich mit seiner Hilfe ein treuer Verwalter (vgl. 1 Kor 4,2) zum Wohl des gesamten mystischen Leibes der Kirche sei, auf dass sie immer mehr zu einer Stadt auf dem Berg wird (vgl. Offb 21,10), zu einer rettenden Arche, die durch die Wogen der Geschichte steuert, zu einem Leuchtturm, der die Nächte der Welt erhellt. Und dies weniger wegen der Großartigkeit ihrer Strukturen oder der Pracht ihrer Bauten - wie die Baudenkmäler, in denen wir uns befinden -, sondern durch die Heiligkeit ihrer Glieder, dieses "Volkes, das sein besonderes Eigentum wurde, damit ihr die großen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat" (1 Petr 2,9). Allerdings geht dem Gespräch, in dem Petrus sein Glaubensbekenntnis ablegt, noch eine weitere Frage voraus. Jesus fragt: "Für wen halten die Menschen den Menschensohn?" (Mt 16,13). Das ist keine unbedeutende Frage, sie betrifft vielmehr einen wichtigen Aspekt unseres Dienstes: die Wirklichkeit, in der wir leben, mit ihren Grenzen und Möglichkeiten, mit ihren Fragen und Überzeugungen. "Für wen halten die Menschen den Menschensohn?" (Mt 16,13). Wenn wir an die Szene denken, die wir gerade betrachten, könnten wir auf diese Frage zwei mögliche Antworten finden, die auch zwei Haltungen beschreiben. Da ist zunächst die Antwort der Welt. Matthäus betont, dass das Gespräch zwischen Jesus und seinen Jüngern hinsichtlich seiner Identität in der wunderschönen kleinen Stadt Cäsarea Philippi stattfindet, die reich an prächtigen Palästen ist, inmitten einer bezaubernden Naturlandschaft am Fuße des Hermon liegt, aber auch Sitz grausamer Machtzirkel und Schauplatz von Verrat und Untreue ist. Dieses Bild spricht von einer Welt, die Jesus als einen völlig unbedeutenden Menschen betrachtet, höchstens als eine kuriose Figur, die mit ihrer ungewöhnlichen Art zu sprechen und zu handeln Staunen hervorrufen kann. Und so wird diese "Welt" nicht zögern, ihn zurückzuweisen und zu beseitigen, sobald er aufgrund der Ehrlichkeit und der moralischen Ansprüche, die er einfordert, lästig wird. Dann gibt es noch die zweite mögliche Antwort auf die Frage Jesu: die der einfachen Leute. Für sie ist der Nazarener kein "Scharlatan": Er ist ein aufrechter Mann, einer, der Mut hat, der gut spricht und das Richtige sagt, wie andere große Propheten in der Geschichte Israels. Deshalb folgen sie ihm, zumindest solange sie dies ohne allzu große Risiken und Unannehmlichkeiten tun können. Doch er ist für sie nur ein Mensch, und deshalb verlassen auch sie ihn in der Stunde der Gefahr, während seiner Passion, und gehen enttäuscht weg. Bemerkenswert an diesen beiden Haltungen ist ihre Aktualität. Sie verkörpern nämlich Vorstellungen, die wir leicht - vielleicht in einer anderen Sprache, aber im Wesentlichen gleich - in den Mündern vieler Männer und Frauen unserer Zeit wiederfinden können. Auch heute wird der christliche Glaube in nicht wenigen Fällen als etwas Absurdes angesehen, als etwas für schwache und wenig intelligente Menschen; vielfach werden andere Sicherheiten wie Technologie, Geld, Erfolg, Macht und Vergnügen bevorzugt. Es handelt sich um Umfelder, in denen es nicht leicht ist, das Evangelium zu bezeugen und zu verkünden, und in denen Gläubige verspottet, bekämpft, verachtet oder bestenfalls geduldet und bemitleidet werden. Doch gerade deshalb sind dies Orte, die dringend der Mission bedürfen, denn der Mangel an Glauben hat oft dramatische Begleiterscheinungen: dass etwa der Sinn des Lebens verlorengeht, die Barmherzigkeit in Vergessenheit gerät, die Würde des Menschen in den dramatischsten Formen verletzt wird, die Krise der Familie und viele andere Wunden, unter denen unsere Gesellschaft nicht unerheblich leidet. Vielfach wird Jesus, obwohl er als Mensch geschätzt wird, auch heute bloß als eine Art charismatischer Anführer oder Übermensch gesehen, und zwar nicht nur von Nichtgläubigen, sondern auch von vielen Getauften, die so schließlich in einen faktischen Atheismus geraten. Dies ist die Welt, die uns anvertraut ist und in der wir, wie Papst Franziskus uns so oft gelehrt hat, berufen sind, den freudigen Glauben an Jesus, den Erlöser, zu bezeugen. Deshalb ist es auch für uns unerlässlich, immer neu zu bekennen: "Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes" (Mt 16,16). Das ist vor allem in unserer persönlichen Beziehung zu ihm von wesentlicher Bedeutung, im Bemühen um einen täglichen Weg der Umkehr. Aber dann auch für uns als Kirche, indem wir gemeinsam unsere Zugehörigkeit zum Herrn leben und allen die Frohe Botschaft bringen (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 1). Ich sage dies vor allem im Blick auf mich selbst, als Nachfolger Petri, der ich meine Mission als Bischof der Kirche von Rom beginne, welche berufen ist, der Gesamtkirche in der Liebe vorzustehen, gemäß dem berühmten Wort des heiligen Ignatius von Antiochien (vgl. Brief an die Römer, Gruß). Als er in Ketten in diese Stadt gebracht wurde, an den Ort seines nahenden Lebensopfers, schrieb er an die Christen dort: "Dann werde ich wirklich ein Jünger Jesu Christi sein, wenn die Welt meinen Leib nicht mehr sieht" (Brief an die Römer, IV, 1). Er bezog sich darauf, dass er im Zirkus von wilden Tieren verschlungen werden würde - und so geschah es -, doch seine Worte verweisen in einem allgemeineren Sinn auf eine unverzichtbare Anforderung für alle, die in der Kirche ein Leitungsamt ausüben: zu verschwinden, damit Christus bleibt, sich klein zu machen, damit er erkannt und verherrlicht wird (vgl. Joh 3,30), sich ganz und gar dafür einzusetzen, dass niemandem die Möglichkeit fehlt, ihn zu erkennen und zu lieben. Gott gebe mir diese Gnade, heute und immer, mit der Hilfe der liebevollen Fürsprache Marias, der Mutter der Kirche. |
Robert Francis Prevost (69) war am Donnerstag zum Oberhaupt von 1,4 Milliarden Katholiken gewählt worden. Der langjährige frühere Leiter des Augustinerordens ist der erste gebürtige US-Amerikaner im Papstamt. Ferner hat er die peruanische Staatsbürgerschaft, weil er neun Jahre Bischof in Peru war. Ähnlich wie sein Vorgänger Franziskus, der ihn 2023 zum Leiter der vatikanischen Behörde für die Bischofsernennungen machte, trug der neue Papst während der Liturgie in der Sixtinischen Kapelle schlichte schwarze Lederschuhe. Die Lesungen wurden auf Englisch und auf Spanisch vorgetragen, die Fürbitten auf Italienisch.
Erste Worte auf Englisch
Zu Beginn seiner Predigt, in der der neue Papst häufig aus dem Neuen Testament der Bibel, zweimal auch aus Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65), zitierte, sprach Leo XIV. erstmals seit seiner Wahl spontan einige Worte auf Englisch und erinnerte die Kardinäle an die Wunder und Gaben Gottes. "Ihr habt mich berufen, dieses Kreuz zu tragen und diese Sendung zu erfüllen", so der Papst. Er wisse, dass er sich auf jeden Kardinal verlassen könne.
Weiter ging Leo XIV. auf die herausfordernde Lage für Christen weltweit ein. "Heute wird der christliche Glaube in nicht wenigen Fällen als etwas Absurdes angesehen, als etwas für schwache und wenig intelligente Menschen; vielfach werden andere Sicherheiten wie Technologie, Geld, Erfolg, Macht und Vergnügen bevorzugt", so der Papst.
Jesus als Übermensch
Gläubige würden mitunter "verspottet, bekämpft, verachtet oder bestenfalls geduldet und bemitleidet", während Jesus als eine Art "charismatischer Anführer oder Übermensch" gesehen werde, nicht nur von Nichtgläubigen, sondern auch von vielen Getauften, die so schließlich in einen "faktischen Atheismus" gerieten. Doch jeder Einzelne sei aufgefordert, wie Papst Franziskus es oft gelehrt habe, den freudigen Glauben an Christus zu bezeugen, bekräftigte Leo XIV. Das gelte auch für die Kirche insgesamt.
Nötig ist dies aus Sicht des Papstes umso mehr, als der Mangel an Glauben oft dramatische Begleiterscheinungen habe, wie er sagte: "dass etwa der Sinn des Lebens verloren geht, die Barmherzigkeit in Vergessenheit gerät, die Würde des Menschen in den dramatischsten Formen verletzt wird, die Krise der Familie und viele andere Wunden, unter denen unsere Gesellschaft nicht unerheblich leidet".
Sich selbst im Amt klein machen
Er selbst wolle als Papst als treuer Verwalter die Kirche immer mehr zu einer Stadt auf dem Berg machen, "zu einer rettenden Arche, die durch die Wogen der Geschichte steuert, zu einem Leuchtturm, der die Nächte der Welt erhellt", sagte Leo XIV. Dies bewirke sie weniger durch die Großartigkeit ihrer Strukturen oder die Pracht ihrer Bauten, sondern durch die Heiligkeit der Mitglieder des Volkes Gottes.
Dabei wolle er sich selbst im Amt klein machen, um Christus in den Vordergrund zu stellen, so Leo XIV. Alle, die in der Kirche ein Leitungsamt ausüben, seien dazu gehalten, "zu verschwinden, damit Christus bleibt, sich klein zu machen, damit er erkannt und verherrlicht wird, sich ganz und gar dafür einzusetzen, dass niemandem die Möglichkeit fehlt, ihn zu erkennen und zu lieben".
Er sei als Nachfolger Petri berufen, der Gesamtkirche in der Liebe vorzustehen, so Leo XIV. in diesem Zusammenhang. Wie das vatikanische Nachrichtenportal "Vatican News" eigens hinwies, machte er sich dabei eine berühmte Formulierung des heiligen Ignatius von Antiochien zu eigen, nämlich dass die römische Kirche den "Vorsitz in der Liebe" führe - eine Deutung des Petrusdienstes, die heute ökumenisch weithin akzeptabel erscheint und die auch Franziskus 2013 gleich in seiner ersten Rede nach der Wahl aufgerufen hatte.
Quelle: kathpress