
Theologin fordert von Kirche mehr Toleranz für Intergeschlechtlichkeit
Laut Schätzungen besitzt jede 100. Person in Österreich einen "mehrdeutigen Körper", dessen Geschlechtsmerkmale nicht eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind. Trotz dieses häufigen Vorkommens ist das Thema in Kirche und Gesellschaft tabu, erklärte die Theologin Katharina Mairinger-Immisch im Interview mit dem "Tiroler Sonntag" (aktuelle Ausgabe/Nr. 27). In der christlichen Welt und auch in anderen religiösen Traditionen dominiere eine ablehnende Haltung gegenüber intergeschlechtlichen Personen. Außer in der hinduistischen Tradition, "wo Mischwesen göttlich verehrt werden", würden sie in den Religionen häufig "dämonisiert", so die Theologin, die mehr Offenheit und Dialogbereitschaft im Hinblick auf Intergeschlechtlichkeit in Kirche und Gesellschaft fordert.
"Man ist zum Beispiel davon ausgegangen, dass die Schuld der Eltern irgendwie auf das Ungeborene übergeht und dadurch Intergeschlechtlichkeit entsteht", nannte Mairinger-Immisch eine Deutungsvariante von Religionen. Gesellschaftlich verunsichere die Uneindeutigkeit in der Geschlechterzuordnung - weshalb nicht gern über das Thema gesprochen werde. Die medizinische Praxis habe zusätzlich dazu beigetragen, Intergeschlechtlichkeit zu tabuisieren. Ab den 1960er-Jahren sei versucht worden, uneindeutige Genitalien chirurgisch zu "korrigieren" - und das oft ohne Wissen der Eltern. "Das führte bei vielen Betroffenen zu psychischen Belastungen bis hin zu Suizid", so die derzeit karenzierte Mitarbeiterin am Fachbereich Theologische Ethik an der Ruhr-Universität Bochum.
Kirche soll "Willkommenskultur" schaffen
Auch in der Theologie sei das Thema Intergeschlechtlichkeit "stark unterbelichtet". "Es gibt erst seit Kurzem theologische Stellungnahmen, etwa in einem Dokument der vatikanischen Bildungskongregation von 2019", erläuterte Mairinger-Immisch. Paradoxerweise werde bei Intergeschlechtlichkeit operatives Eingreifen empfohlen, was bei Transsexualität strikt abgelehnt werde. "Das zeigt doppelte Standards, die theologisch überdacht werden müssen", so ihre Kritik.
Die Kirche sollte eine "Willkommenskultur" entwickeln und "sich aktiv mit intergeschlechtlichen Menschen und ihren Lebensrealitäten auseinandersetzen", forderte die Theologin. Nur so wachse Vertrauen. "Angesichts sozialer Normen und Schönheitsideale kann es helfen, zu wissen, dass Abweichungen keine Mängel, sondern Teil der natürlichen Vielfalt sind", so Mairinger-Immisch.
Quelle: kathpress