
"Spirituelle Gewalt": Kirche arbeitet an Richtlinien
Seit 2021 arbeitet eine von der Österreichischen Bischofskonferenz und der Ordenskonferenz eingesetzte Arbeitsgruppe an der Aufarbeitung spiritueller Gewalt in der Kirche. Ziel der Arbeitsgruppe "Spirituelle Gewalt" ist es, entsprechende Missbrauchsformen in die kirchliche Präventionsordnung "Die Wahrheit wird euch frei machen" zu integrieren. Erste Arbeitsergebnisse wurden von den Bischöfen und der Leitung der Ordenskonferenz bereits "ad experimentum" beschlossen und werden in der Praxis auch bereits angewendet. Von der Arbeitsgruppe wird nun der Umgang damit evaluiert. Ein Bericht soll im Frühjahr 2026 vorliegen.
Spirituelle Gewalt sei oft schwer zu erkennen, auch für die Betroffenen selbst, erklärt dazu der Grazer Moraltheologe Walter Schaupp, Mitglied der Arbeitsgruppe, in einem Interview mit der Kooperationsredaktion der Kirchenzeitungen. Betroffene würden erst rückblickend merken, dass sie ausgebeutet wurden. Versprochen werde eine tiefe Gottesbeziehung oder klare Berufung, die sich später als leer herausstelle. Umso wichtiger seien Leitlinien, Schulungen und eine klare Sensibilisierung auf allen Ebenen kirchlicher Verantwortung, so der Theologe.
Eine einheitliche Definition spiritueller Gewalt existiert aktuell noch nicht, so Schaupp, aber doch deutliche Ansätze: "Spirituelle Gewalt liegt vor, wenn jemand seine religiöse Autorität nutzt, um andere zu kontrollieren, zu manipulieren, emotional auszubeuten - nicht, um zu dienen. Wenn also ein geistlicher Begleiter oder eine Begleiterin nicht hilft, Gott zu finden, sondern sich selbst zum Maßstab macht." Und weiter: "Es geht um die Ausnutzung geistlicher Autorität zur Beeinflussung und Kontrolle - unter dem Deckmantel von Seelsorge", so Schaupp.
Jeder Mensch habe das Recht, seinen religiösen Weg zu wählen und zu gestalten, betont der Experte. Spirituelle Gewalt schränke diesen Raum jedoch ein, manipuliere und kontrolliere, oft mit dem Argument, man wisse "im Namen Gottes", was richtig für jemanden sei. Dabei würden Betroffene oft von Familie oder Freunden abgeschnitten. Die eigene Gruppe werde als auserwählt oder allein "auf dem rechten Weg" dargestellt. "Außenstehende gelten als verloren oder gefährlich."
Neue geistliche Bewegungen gefährdet
Häufiger als etwa in der Pfarrseelsorge würden spirituelle Übergriffe in neuen geistlichen Bewegungen und religiösen Gemeinschaften geschehen, so der Moraltheologe: "Diese Gruppen arbeiten oft mit starker persönlicher Bindung und betonen Gehorsam gegenüber geistlichen Autoritäten." Aber auch in klassischen Beicht- und Begleitungssituationen könne spirituelle Gewalt geschehen, "etwa wenn Priester im Namen Gottes bestimmte Entscheidungen fordern". Auffällig sei, dass spirituelle Gewalt oft der sexuellen Gewalt vorausgeht oder sie begleitet. Täter tarnten Übergriffe als Ausdruck göttlicher Liebe.
"Oft nicht klar, wo sie beginnt"
Spirituelle Gewalt ist laut Schaupp subtil: "Es ist oft nicht klar, wo sie beginnt." Es brauche deshalb Leitlinien und Schulungen, sowohl für Seelsorgende als auch für höhere Leitungspositionen. Betroffene müssten ernst genommen werden. Übergriffige Situationen seien dabei für Betroffene oft schwer zu erkennen, "erst rückblickend bemerken sie, dass sie ausgebeutet wurden. Sie haben sich auf Versprechen eingelassen, etwa auf eine tiefe Gottesbeziehung oder eine klare Berufung - doch die Versprechen wurden nicht erfüllt."
Zur Frage, wie eine "gesunde" geistliche Begleitung aussieht, sagte der Theologe: "Christlicher Glaube verteidigt das Leben und muss sich daran messen lassen." Man könne Menschen nicht im Namen des Lebens "geistlich aushungern oder zerstören". In der Begleitung werde gemeinsam geprüft: "Was ist wirklich Gottes Stimme? Was sagt mein Gewissen? Die Begleiterin oder der Begleiter soll helfen, die innere Stimme zu entdecken - nicht sie ersetzen."
Schaupp leitete bis 2019 den Lehrstuhl für Moraltheologie der Katholisch-Theologischen Fakultät in Graz. Seit 2018 gehört er zur Theologenkommission der Österreichischen Bischofskonferenz.
Quelle: kathpress