
Theologe: Peymanns Theater zeugte von "Hunger nach Spiritualität"
Der am Mittwoch 88-jährig verstorbene langjährige Direktor des Wiener Burgtheaters, Claus Peymann, hat trotz seiner religions- und kirchenkritischen Haltung eine "tiefe spirituelle Sehnsucht in sich getragen": Das hat der Theologe und Psychotherapeut Arnold Mettnitzer in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Kathpress hervorgehoben. "Viele seiner Inszenierungen waren Ausdruck eines großen Hungers nach Transzendenz." Eine geplante Veranstaltung mit Peymann und Peter Turrini in Kärnten habe er aufgrund kirchlicher Bedenken absagen müssen, "beide wären aber mit Begeisterung gekommen".
Mettnitzer, der Peymann zuletzt wenige Wochen vor seinem Tod in der Wiener Josefstadt bei der Premiere von "Warten auf Godot" traf, war dem Intendanten erstmals vor Jahrzehnten begegnet: Peymann war damals zur Erholung in Kärnten, Mettnitzer Pfarrer in Klein St. Paul. "Ich wusste, dass der große Claus Peymann da ist, und habe mich auf die Messe besonders vorbereitet", berichtete der ehemalige Priester. Beeindruckt hätten Peymann aber weder die Worte noch Gesang oder Weihrauch, sondern der "Moment völliger Stille während der Wandlung, in dem die Anwesenden offenbar wussten, worum es geht."
Peymann soll diesen Moment mit den Worten kommentiert haben: "Was ich heute erlebt habe, bringe ich als Theaterdirektor auf keiner Bühne zustande." Für Mettnitzer war dies ein Schlüsselerlebnis, das ihm die Augen für die psychodynamische Dimension der Messfeier öffnete. Peymann habe ihm mehr über die Parallelen zwischen Dramaturgie und Liturgie beigebracht als viele Jahre Theologiestudium. Seine klare Haltung zum Theater sei gewesen, dass es Menschen so berühren müsse, "dass sie dadurch in Bewegung kommen - dass sie sich verrücken lassen". Dies sei laut dem Theologen auch die Aufgabe der Liturgie: "Wenn Theater das kann und die Liturgie nicht, läuft etwas falsch", so Mettnitzer.
Auch darüber hinaus sei die Zentralfigur des deutschsprachigen Regietheaters ein "begnadeter, leidenschaftlicher Mensch" gewesen. Besonders hob Mettnitzer Peymanns Fähigkeit zur Irritation hervor. "Er war ein Waluliso für Theater und Politik - jemand, der aufrüttelt." Eindrucksvolles Beispiel dafür sei die Uraufführung von Thomas Bernhards "Heldenplatz" gewesen: "Da wurde auf schmerzhafte Weise hinterfragt, was gerne verdrängt wird - umso paradoxer, dass jene, die in dem Stück kritisiert wurden, später mit Staatsgästen ins Burgtheater pilgerten, als hätte das mit ihnen nichts zu tun."
Berührer und Polarisierer
Claus Peymann, 1937 in Bremen geboren, galt als einer der einflussreichsten Regisseure und Intendanten im deutschsprachigen Raum. Er leitete unter anderem das Schauspiel Stuttgart, das Schauspiel Frankfurt, die Berliner Schaubühne und von 1986 bis 1999 das Wiener Burgtheater, das er wie kein Zweiter politisierte und modernisierte. Unter seiner Direktion wurden Autoren wie Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek und Peter Turrini zu zentralen Stimmen der Gegenwart. Peymann verstand Theater als gesellschaftliches Gegenüber und Ort kritischer Öffentlichkeit, wobei er polarisierte und zugleich eine ganze Theatergeneration prägte.
In Erinnerung bleiben wird Peymann auch wegen seiner markigen Sprüche: 2020 berichtete er in einem Interview in Bezug auf die "Unregierbarkeit" des Wiener Burgtheaters, Kardinal Franz König (1905-2004) habe ihm einmal gesagt: "Wissen'S, Herr Peymann, es gibt zwei Häuser in Wien, die können'S nicht in den Griff bekommen: Das Eine ist der Stephansdom, das Andere das Burgtheater." Seine Wege mit König hätten sich vor allem bei den Beerdigungen am Burgtheater gekreuzt.
Auch mit Königs Nachfolger, Kardinal Christoph Schönborn, gab es etliche Begegnungen, insbesondere bei dem mit beiden befreundeten Schriftsteller Peter Turrini, dessen Werke Peymann oftmals aufgeführt hatte. In einem Interview bekannte der Kardinal, Peymanns Inszenierungen hätten bei ihm nicht immer Begeisterung erweckt, zweifellos sei er aber "einer der großen Regisseure seiner Zeit"; besonders Turrinis Stücke hätten ihn sehr berührt.
"Tod ist Teil des Lebens"
Auch noch 2022 sagte der Theatermacher selbst bei einem Interview zu seinem 85. Geburtstag, er frage sich bei jeder Beerdigung: "Ist das meine Generalprobe?", Nachsatz: "Der Tod ist Teil des Lebens, wer das übersieht, hat das Leben nicht verdient." Als weitere "Schlüsselfrage" nannte Peymann damals die Überlegung nach dem Ort seines Grabes. Er träume manchmal davon, "es wie die alten Könige zu machen: das Herz nach Wien, den Rest auf den Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin".
Quelle: kathpress