
Anselm Grün: Schicksal spirituell deuten statt in Opferrolle verharren
"Es geht darum, dass wir aktiv auf das Schicksal reagieren, anstatt uns als Opfer zu fühlen." Mit dieser zentralen Botschaft hat der Benediktinerpater Anselm Grün am Freitagabend in Salzburg zum spirituellen Umgang mit dem Schicksal aufgerufen. In seinem Vortrag bei der Veranstaltungsreihe "Disputationes" betonte der vielfache Buchautor und Seelsorger: "Wenn Gott in mir herrscht, dann bin ich wirklich frei. Dann hat das Schicksal keine Macht über mich." Die dreitägigen "Disputationes", die die Konzertreihe "Ouverture Spirituelle" in der Eröffnungswoche der Salzburger Festspiele begleiten, stehen heuer unter dem Generalthema "Fatum" (lat. Schicksal). Nach dem Vortrag des Mönchs in der Großen Universitätsaula fand das Eröffnungskonzert "Das Floß der Medusa" in der Felsenreitschule statt.
Grün spannte in seiner Auslegung einen weiten Bogen von der griechischen Mythologie und Philosophie über frühchristliche Autoren bis hin zur Gegenwart. Die Religionen und Kulturen der Menschheit versuchten seit jeher, dem Schicksal zu begegnen - sei es durch Magie, Gebet, Vorhersehung oder Deutung. Für den Benediktiner ist klar: Schicksal ist mehr als bloßes Erdulden. Es sei eine spirituelle Herausforderung, die eine bewusste Antwort des Menschen verlangt - und eine Gelegenheit, tiefer mit sich selbst und mit Gott in Berührung zu kommen.
Ein zentrales Vorbild für diese Haltung sei der antike Philosoph Epiktet, den Grün ausführlich zitierte. Epiktets Appell: "Strebe nicht danach, dass die Ereignisse eintreten, wie du willst, sondern wünsche die Ereignisse so, wie sie eintreten, und du wirst ein glückliches Leben führen." Für Grün zeigt sich darin "eine tiefe Haltung des Vertrauens, die auch von frühen christlichen Kirchenvätern übernommen wurde". Diese Haltung münde in ein Gebet, das sich ganz dem göttlichen Willen überlässt: "Führe mich, wohin Du willst, bekleide mich mit dem Gewand, das Dir gefällt."
Ergänzend dazu verwies Grün auf Viktor Frankl, den Begründer der Logotherapie. Dessen Gedanke, dass "die Freiheit, auf das Schicksal zu reagieren", dem Menschen nicht genommen werden könne, sei auch theologisch bedeutsam. Frankl habe gezeigt, dass der Mensch dem Leid einen Sinn geben könne - etwa, indem er aus eigener Trauer heraus anderen helfe. Grün schilderte dazu die Entstehung von Selbsthilfegruppen für verwaiste Eltern nach dem Tod eines Kindes als konkretes Beispiel einer solchen "Sinngebung im Leid".
Auch auf persönliche Erfahrungen ging der Benediktiner ein: Als er vor zehn Jahren an Nierenkrebs erkrankte, habe ihn das biblische Gebet Jesu in Getsemani durchgetragen. Die Vaterunserbitte "Dein Wille geschehe" sei für ihn "nicht entmutigend, sondern Ausdruck des Vertrauens gewesen, dass es gut wird - unabhängig vom Ausgang". Damit habe er nicht nur um Heilung gebetet, sondern auch das mögliche Sterben als "Zeugnis für Christus" verstanden: "Nicht mehr durch mein Tun, sondern durch mein Sein."
Vom Leid zur Hingabe
Zentrale biblische Bezugspunkte seines Vortrags waren zudem das Johannesevangelium und die Emmaus-Geschichte bei Lukas. Besonders eindrucksvoll sei die Deutung Jesu im Johannesevangelium, seinen gewaltsamen Tod selbst in freie Hingabe zu verwandeln: "Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es aus freiem Willen hin." Diese Haltung werde in jeder Eucharistiefeier eingeübt - als spiritueller Umgang mit dem, "was uns durchkreuzt".
Am Beispiel seiner Mutter, die trotz starker Sehschwäche bis ins hohe Alter lebensfroh blieb, machte Grün deutlich, wie eine innere Umwandlung von Leid in Hingabe gelingen könne. Ihre Haltung, das Erlebte "für ihre Kinder und Enkelkinder aufzuopfern", sei für ihn Ausdruck einer tiefen spirituellen Kraft: "Sie fühlte sich nicht als Last, sondern als Segen."
Den Abschluss des Vortrags bildete ein Ausblick auf den spirituellen Sinn des Schicksals aus der Sicht des Lukas-Evangeliums. Der Satz "Musste nicht der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?" (Lk 24,26) erinnere daran, dass Schicksal den Menschen aufbrechen wolle - "für das tiefere Geheimnis des Lebens, für die anderen, für Gott". Grün: "Wenn ich an meinen Vorstellungen vom Leben festhalte, werde ich durch das Schicksal zerbrechen. Doch wenn ich mich aufbrechen lasse, finde ich neue Möglichkeiten - und mein wahres Selbst."
Das Ziel eines solchen Ringens mit dem Schicksal sei letztlich die "innere Freiheit und die Offenheit für Gott", so Grün. Auch wenn sich Gott im Schicksal oft als unbegreiflich erweise, bleibe für den Theologen klar: "Die Unbegreiflichkeit des Schicksals verweist auf die Unbegreiflichkeit Gottes - einer Liebe, die trotz allem Liebe ist."
Die "Disputationes" im Rahmen der "Ouverture Spirituelle" haben sich seit ihrer Gründung im Jahr 2012 zu einem fixen Bestandteil der Salzburger Festspielsaison entwickelt. Während der letzten zwölf Jahre sprachen bereits über hundert hochkarätige Vertreter der großen Weltreligionen und Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft über die Wirkung von Kultur und Religion auf den Menschen.
Quelle: kathpress