
VinziWerke-Obfrau: "Gesicht der Armut hat sich verändert"
Die Armut greift in der Gesellschaft immer mehr um sich, während gleichzeitig von der Politik und Wirtschaft Sparpakete geschnürt werden. Zu diesem kritischen Befund ist die Obfrau der VinziWerke, Martina Schröck, gekommen. "Einerseits ist die Armut tatsächlich jetzt schon in der Mitte der Gesellschaft angekommen, und das heißt, wir haben immer mehr Gäste, immer mehr Hilfesuchende, die auf die VinziWerke zukommen. Auf der anderen Seite spüren wir auch schon die Sparmomente auf Bundes- und auf Landesebene. Das heißt, die Zeiten sind sehr herausfordernd", so Schröck im Interview mit ORF-Steiermark am Samstag.
Gefragt, wo aktuell die größten Herausforderungen bei der Betreuung von Hilfesuchenden lägen, sagte Schröck: "Unsere Arbeit ist insgesamt wesentlich breiter geworden. Das heißt, das Gesicht der Armut hat sich sehr stark verändert." Das könne man auch beim Vinzimarkt sehen, wo seit der Pandemie etwa 30 Prozent mehr Kundinnen und Kunden verzeichnet werden. Viele seien von der Teuerung betroffen. "Wir sprechen hier von Working poor, wir sprechen von Menschen mit Behinderung, von Pensionisten, Pensionisten. Das Aufgabengebiet ist einfach insgesamt gewachsen, und die Herausforderungen sind nach wie vor groß."
"Sozialer Friede kostet Geld"
Die Schwerpunkte der nächsten Zeit seien der Umbau des Vinzinests und Frauenprojekte; gegen die Ausgrenzung von armutsgefährdeten und armen Menschen in der Gesellschaft anzukämpfen, sei sehr wichtig, so Schröck, wie auch "ein starkes öffentliches Bekenntnis dazu zu formulieren - das heißt, einen guten Teil des öffentlichen Geldes auch wirklich in dieses soziale Netz zu investieren. Soziale Sicherheit, sozialer Friede kostet Geld. Und das wird erst augenscheinlich, wenn etwas wegfällt."
"Meine größte Vision ist, dass wir irgendwann zusperren können, weil es uns nicht mehr braucht. Das ist auch die Richtung, in die wir arbeiten. Aber im Großen und Ganzen hänge ich der Vision von Wolfgang Pucher an, nämlich schnell, unbürokratisch, individuell, unkompliziert zu helfen, dort, wo sie gebraucht wird", so Schröck.
Gedenken an Pater Pucher
Das Interview fand anlässlich des zweiten Todestages des Grazer Armenpfarrers und Gründers der VinziWerke, des Lazaristenpaters Wolfgang Pucher, statt. Am 20. Juli wird in der Grazer Vinzenzkirche die Sonntagsmesse in Gedenken an Pfarrer Pucher gefeiert. Rechtzeitig wurde die Grabeinfassung fertiggestellt. Der Armenpriester starb am 19. Juli 2023 während seines Kroatienurlaubs.
Martina Schröck steht seit Mai als erste Frau an der Spitze der Vinziwerke und wurde 1977 in Bruck an der Mur geboren. An der Karl-Franzens-Universität in Graz studierte sie Soziologie und erlangte 2004 ihren Doktortitel. In der Volkshilfe sammelte sie ihre ersten beruflichen Erfahrungen, schlug dann eine politische Laufbahn ein. 2005 wurde sie für die SPÖ in den Landtag gewählt, 2010 wechselte sie als Parteivorsitzende der Stadtfraktion in die Grazer Stadtregierung und war bis 2013 Stadträtin für Soziales und Frauen. 2013 wurde sie zur Vizebürgermeisterin der Stadt Graz gewählt. 2016 zog sie sich aus der Politik zurück.
Die VinziWerke betreiben heute 40 Einrichtungen in der Steiermark, Wien und Salzburg. Täglich erhalten dort bis zu 450 Menschen eine Unterkunft, während rund 1.700 Bedürftige mit Lebensmitteln versorgt werden. Die Vinzenzgemeinschaft Eggenberg ist eine von 146 Vinzenzgemeinschaften in Österreich, weltweit sind es 50.000 in 148 Ländern. Es handelt sich dabei um Gruppen, die selbständig und unabhängig voneinander auf Basis der Ehrenamtlichkeit bemüht sind, Armen das Leben zu erleichtern und sie wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Grundgelegt wurden sie 1833 in Frankreich von einem Studenten, der sich auf den heiligen Vinzenz von Paul als Namensgeber berief.
Quelle: kathpress