
Zulehner: Papst Leo wird auch "kantige" Entscheidungen treffen müssen
Leo XIV. ist 100 Tage nach seiner Wahl zum Papst noch in der "Schonzeit" als Kirchenoberhaupt. In Zukunft wird er jedoch "kantige" Entscheidungen im Rahmen des weltweiten synodalen Prozesses der Kirche treffen müssen. Dies sagte der Theologe Paul Zulehner am Freitag im Ö1-Mittagsjournal des ORF.
Bisher hat sich Leo XIV. noch keine Feinde gemacht. Er sei auch "kein Mann der gefälligen Pointen und theatralischen Gesten", erklärte Zulehner und griff damit mediale Zuschreibungen zum neuen Papst auf. Mit Entscheidungen wie der geplanten Rückkehr in die Wohnung im Apostolischen Palast, der Sommerfrische in Castel Gandolfo und dem Tragen der päpstlichen Prachtstola wolle Leo "Traditionsbesorgte ein bisschen beruhigen", so die Einschätzung des Theologen.
Wolle der Papst aber in Richtung einer synodaleren Kirche weiterkommen, werde er Entscheidungen etwa zur Rolle der Frauen in der Kirche und zur praktischen Beteiligung des Volkes Gottes treffen müssen. Dies sei die Kernfrage. "Wenn er da Entscheidungen trifft, dann muss er kantige Entscheidungen treffen. Irgendwas wird noch kommen, und es wird harte Zeiten auch noch geben - aber noch ist Schonzeit für ihn", sagte Zulehner über das vor drei Monaten begonnene Pontifikat.
Vom Rohjuwel zum Juwelier
Was der neue Papst von seinem Vorgänger Franziskus an Geistigkeit und Dynamik bezüglich Neuerungen in der Kirche geerbt habe, müsse er nun in Strukturen fassen. "Papst Franziskus war ein Rohjuwel und Papst Leo muss jetzt der Juwelier sein", griff Zulehner zu einem bildhaften Vergleich. Als Beispiel nannte der Theologe die "sehr sensible" Frage, wie gläubige Gemeinden trotz Priestermangels auch Eucharistie feiern können und die auch in diesem Zusammenhang diskutierte Dezentralisierung in der Weltkirche.
Leo XIV. habe sich nach Amtsantritt ausdrücklich zur Fortsetzung der von Papst Franziskus angestoßenen Synodalisierung der Kirche bekannt. Auch dass der gebürtige US-Amerikaner als Bischof in Peru ein "Bischof für die Armen" gewesen sei, dürfe nicht übersehen werden. "Das ist ein hohes Kapital, das ihn auch mit Franziskus verbindet", erklärte Zulehner weiter.
Friedensmahner für die Welt
Der Pastoraltheologe lobte, dass Leo XIV. darauf hingewiesen habe, dass es in der aktuellen Lage der Welt zu wenig wäre, sich nur um die Kirche zu kümmern. Der Papst habe daher "neben dem innerkirchlichen Langzeitprogramm ein ganz gutes Akutprogramm entwickelt", sagte Zulehner: "Er lässt keine Gelegenheit aus, sich klar für den Frieden und gegen den Krieg zu positionieren. Er ist für den Dialog, und er sagt: Ich stehe für eine bessere Welt."
Am 8. Mai wurde Kardinal Robert Francis Prevost (69) zum Papst gewählt und nahm den Namen Leo XIV. an. Er ist der erste US-Amerikaner auf dem Stuhl Petri. Vor seiner Ernennung zum Leiter der Bischofskongregation durch Papst Franziskus im Jänner 2023 war Prevost lange in Peru tätig, unter anderem als Bischof von Chiclayo und besitzt daher auch die peruanische Staatsangehörigkeit. 1977 trat er im Alter von 21 Jahren dem Augustinerorden bei, dessen weltweite Leitung er zwölf Jahre lang innehatte, bevor er nach Südamerika ging.
Quelle: kathpress