
Glettler: Nachfolge Jesu bedeutet "verrückt sein im besten Sinn"
In seiner diesjährigen "Söllerpredigt" zum Fest Kreuzerhöhung hat der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler eine entschlossene christliche Antwort auf gesellschaftliche Fehlentwicklungen und zunehmende Orientierungslosigkeit eingefordert. In Eben am Achensee wird die Predigt traditionell vom Söller des Mesnerhauses aus nach einem Festgottesdienst zur Heiligen Notburga gehalten und mündet in einem feierlichen Umzug. Dort betonte Glettler die Notwendigkeit eines Lebensstils, der sich an der "ver-rückten Logik Jesu" orientiere, bewusst quer zur dominanten Denkweise von Stärke, Selbstbehauptung und Kontrolle.
Die heutige Welt sei von tiefgreifenden Widersprüchen und destruktiven Dynamiken geprägt, so Glettler. Während Hungerkrisen weltweit Millionen bedrohten, erreichten die globalen Rüstungsausgaben neue Rekordwerte. Trotz eines allgemeinen Nachhaltigkeitsdiskurses florierten Märkte für Schönheitsoperationen und leistungssteigernde Substanzen. Kinder fänden weniger gesellschaftliche Wertschätzung als Haustiere, während engagierte Stimmen für den Klimaschutz als hysterisch abgetan würden. Auch auf den steigenden digitalen Medienkonsum, insbesondere unter Jugendlichen, und dessen suchtähnliche Auswirkungen wies der Bischof kritisch hin.
Demgegenüber stellte Glettler das Ideal einer "heiligen Verrücktheit und Undichtheit": Einer Haltung, die offen bleibt für das Unerwartete, zuhört statt vorschnell zu urteilen und sich nicht von Ideologie oder Machbarkeitslogik leiten lässt. Eine solche Offenheit und "liebenswürdigkeits-inkontinente" Herzlichkeit sei nicht Schwäche, sondern das Gegenteil. Der Mensch, so der Bischof, müsse wieder lernen, mit allen Sinnen zu leben - zu hören, zu sehen, zu riechen, zu schmecken und zu tasten - um empfänglich zu bleiben für das Leben, für die Mitmenschen und für Gottes leises Wirken.
Auch Jesus selbst sei von seinen Zeitgenossen als "von Sinnen" bezeichnet worden, wies Glettler hin. Seine Botschaft von Gewaltlosigkeit, Demut, Barmherzigkeit und Vergebung sei damals wie heute eine Herausforderung an die vorherrschende Logik. Das Kreuz, so der Bischof, symbolisiere diesen fundamentalen Perspektivwechsel: Es stehe nicht für Untergang, sondern für Liebe, Versöhnung, Hoffnung und somit für eine Stärke, die in der Schwachheit ihren Ausdruck finde.
Bei einer weiteren Predigt am selben Tag in der Pfarrkirche Nassereith, die ihr 175-jähriges Bestehen feierte, unterstrich Glettler die bleibende Aufgabe der Kirche, diesen Hoffnungsweg sichtbar und erlebbar zu machen. Die Kirche sei ein Ort, an dem Menschen "aufschauen, entgiften und heil werden" könnten, sei ein Raum für Vergebung, geistliche Erneuerung und echte Gemeinschaft. Gerade in einer Zeit, in der viele in Einsamkeit oder innerer Erschöpfung lebten, brauche es Orte, die zum Aufatmen und zur Hoffnung einladen, so Glettler. Das Kreuz bleibe dabei das zentrale Zeichen einer göttlichen Umarmung, die niemand ausschließe.
Quelle: kathpress