
Experte: Auseinandersetzung mit Judentum für Christen unerlässlich
Ein tieferes Verständnis des Judentums und die Erneuerung des christlichen Glaubens gehen Hand in Hand. Davon zeigt sich der Schweizer Jesuit und Judaist Christian Rutishauser überzeugt. Im Interview mit der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag" (aktuelle Ausgabe) unterstrich er, dass für das Christsein die Auseinandersetzung mit dem Judentum heute unerlässlich sei. Immer noch werde im kirchlichen Alltag die Beziehung zum Judentum oft vernachlässigt. "Es ist nicht angekommen, dass das Judentum ein Querschnittsthema für das Christsein darstellt", so der Jesuit.
Rutishauser: "In jedem Evangelium, in jedem Gottesdienst begegnen wir Juden, nicht nur den Pharisäern und Gegnern Jesu. Jesus kommt aus einer jüdischen Familie; Maria war eine jüdische Mutter, Mirjam; alle Jünger und auch Paulus sind Juden." Die neutestamentlichen Schriften seien jüdisch-messianische Texte ihrer Zeit. Christlich geworden seien sie erst im zweiten Jahrhundert, als diese Texte zur christlichen Bibel zusammengestellt wurden. Daher sei es sehr empfehlenswert, auch die Begegnung mit dem rabbinischen Judentum heute zu suchen. Freilich sei dies nicht leicht, "da Juden in unserer Gesellschaft seit der Shoah eine kleine Minderheit sind".
Rutishauser unterstrich die Bedeutung der Konzilserklärung "Nostra aetate", die vor 60 Jahren (28. Oktober 1965) veröffentlicht wurde. Das Kapitel 4 zum Judentum könne man in drei Minuten lesen. "Jeder Gläubige sollte diese Zeilen kennen. Sie sind die Magna Charta des jüdisch-katholischen Dialogs", so der Jesuit. Doch man dürfe dabei nicht stehen bleiben: "Die Forschung hat Enormes geleistet, sodass wir heute sehen, wie sich Judentum und Christentum erst in einem jahrhundertelangen Prozess ausdifferenziert haben."
Der Judaist wies auf weitere "wichtige Impulse aus Rom" hin: Der Text der päpstlichen Bibelkommission zum jüdischen Volk und seiner Heiligen Schrift in der christlichen Bibel oder das Schreiben zu 50 Jahre "Nostra aetate", das begründet, warum es keine Mission unter Juden mehr geben soll und trotzdem kein Abstrich am universalen Anspruch Christi gemacht wird.
Auch der "Tag des Judentums", der jedes Jahr von den Kirchen am 17. Jänner begangen wird, sei ein wichtiger Impuls. Es brauche immer noch eine Aufarbeitung der Geschichte und eine immer neue Abwehr des Antisemitismus in all seinen Formen.
Es sei aber zudem wichtig, so der Judaist, das Judentum nicht zu vereinnahmen. Oft meinten Christen, sie würden es verstehen, wenn sie das Alte Testament lesen. Doch dies greife viel zu kurz, so Rutishauser mit Verweis auf die vielen Traditionen des Judentums. "Juden wollen in ihrem Selbstverständnis wahrgenommen werden."
Entscheidend für die Kirche sei die Ausbildung der Seelsorgenden, Religionslehrerinnen, Priester und kirchlichen Mitarbeiter. In einigen theologischen Fächern sei das Judentum sehr präsent, beispielsweise in der Exegese, auch in der Gottesfrage sei es nicht mehr wegzudenken. Judaistik sei aber kein obligatorisches Fach, die Universität Luzern, an der Rutishauser forscht und lehrt, sei eine löbliche Ausnahme.
Jüdische Quellen der katholischen Liturgie
Mit Missverständnissen, problematischen Deutungen und negativen Stereotypen in der katholischen Liturgie möchte ein Symposion aufräumen, das Ende September in Salzburg stattfindet. Die Tagung am 29./30. September im Salzburger Bildungshaus St. Virgil steht unter dem Titel "Gepriesen sei der G'tt Israels" und thematisiert "Liturgie, Verkündigung und Glaubensvermittlung im Angesicht des Judentums", wie es in einer Ankündigung auf der Website des Liturgischen Instituts (ÖLI) heißt. Das Symposion will demnach dafür sensibilisieren, "dass christliche Liturgie immer ein Feiern angesichts des Judentums ist; dass das Alte Testament nicht überholte Negativfolie, sondern Zeugnis der Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk ist", so der Theologe und Referent des ÖLI, Christoph Freilinger.
Eröffnet wird das Symposion am 29. September von Bischof Manfred Scheuer gemeinsam mit dem für Liturgie in der Bischofskonferenz zuständigen St. Pöltner Weihbischof Anton Leichtfried. Vortragende sind u.a. P. Christian Rutishauser ("Dialog mit dem Judentum: kirchliche, liturgische und spirituelle Auswirkungen"), Alexander Deeg ("Die Hebräische Bibel, die bleibende Erwählung Israels und der christliche Gottesdienst. Überlegungen zu liturgischer Haltung und Hermeneutik") und Harald Buchinger ("Ostern zwischen Popule meus und Israelitica Dignitas: Heilsgeschichte feiern im Angesicht Israels"). Workshops und eine Podiumsdiskussion runden die Tagung ab. Außerdem wird Willy Weisz, Vizepräsident im Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit, als jüdischer Beobachter das Symposion begleiten und am Ende seine Sicht einbringen.
(Infos: www.liturgie.at)
Quelle: kathpress