
Hilfswerk: Syrern jetzt Rückkehr raten wäre unverantwortlich
Trotz erster Wahlen nach dem Sturz des Assad-Regimes ist Syrien weit von einem stabilen und sicheren Staat entfernt. Karim Finianos von der vor Ort tätigen Hilfsorganisation "People of Mercy" warnt eindringlich vor einer Rückkehr syrischer Flüchtlinge. "Es wäre unverantwortlich, Syrern jetzt Rückkehr zu raten", sagte Finianos im Interview mit den "Salzburger Nachrichten" (Montag) am Rande einer Tagung der "Initiative Christlicher Orient" (ICO) im Bildungszentrum St. Virgil in Salzburg.
Die Organisation "People of Mercy", Projektpartner der ICO, betreut Schulprojekte in der syrischen Region Latakia und ist regelmäßig vor Ort aktiv. Finianos berichtet von anhaltender Unsicherheit und Gewalt, insbesondere gegen Angehörige religiöser Minderheiten. Allein im August habe sein Netzwerk in Latakia und Umgebung über 27 sicherheitsrelevante Vorfälle dokumentiert, darunter bewaffnete Übergriffe, Entführungen und sexuelle Gewalt.
Zwar sei die Abhaltung der ersten Parlamentswahl unter Präsident Ahmed al-Scharaa ein symbolischer Schritt, doch von demokratischen Strukturen sei das Land noch weit entfernt, so der Experte. Die Übergangsverfassung sieht eine fünfjährige Phase vor, in der neue politische Institutionen aufgebaut werden sollen. In vielen Landesteilen - insbesondere im Norden und Süden - hat die Regierung jedoch noch keine Kontrolle.
Auch wirtschaftlich sei eine Rückkehr nicht zumutbar. Die Infrastruktur sei stark beschädigt, Strom- und Wasserversorgung vielerorts unzureichend, das Lohnniveau liege deutlich unter dem Existenzminimum. "Derzeit sind nicht einmal minimale Voraussetzungen für ein anständiges Leben erfüllt", so Finianos. Eine vierköpfige Familie benötige zum Überleben umgerechnet mindestens 400 bis 500 Euro im Monat, das Durchschnittsgehalt liege jedoch nur bei 150 bis 200 Euro.
Bildung für Kinder, die nie Schule besuchten
Ein besonderes Anliegen der Organisation ist der Bildungsbereich. Viele Schulen seien zerstört oder überfüllt, Millionen Kinder hätten seit Jahren keinen Unterricht besucht. Gemeinsam mit der ICO betreut "People of Mercy" mehrere Programme, darunter ein Bildungsprojekt für 140 Mädchen, das auch berufliche Perspektiven eröffnen soll. Ein weiteres richtet sich an 150 Kinder, die bislang noch nie eine Schule besucht haben.
Neben der Vermittlung von Bildung leistet die Organisation auch psychosoziale Betreuung. Rund die Hälfte der betreuten Kinder benötige vorübergehend psychologische Hilfe. Um die Familien zur Teilnahme zu bewegen, unterstützt "People of Mercy" sie mit Schulmaterial, Kleidung, medizinischer Versorgung und Lebensmitteln.
Der Wiederaufbau nach dem Krieg verläuft insgesamt schleppend. Die finanzielle Unterstützung kommt laut Finianos derzeit fast ausschließlich aus den Golfstaaten wie Katar und Saudi-Arabien. Hilfe aus Europa oder den USA sei bisher kaum spürbar. Die "Initiative Christlicher Orient" ruft weiterhin zu Spenden auf, um die Arbeit ihrer Partnerorganisationen vor Ort aufrechterhalten zu können. (Spendenkonto: Initiative Christlicher Orient, IBAN: AT42 5400 0000 0045 4546)
Quelle: kathpress