
Moraltheologin: Kirche muss Vereinnahmung von Rechts widerstehen
Ein Plädoyer für Mut als zentrale Voraussetzung für glaubwürdige Reformen in Kirche wie Gesellschaft hat die Salzburger Theologin und Ethikerin Angelika Walser am Samstag im Rahmen der "Kirchenvolkskonferenz" in Enns (OÖ) gehalten. In Zeiten multipler Krisen - wie Klimawandel, Kriege und gesellschaftliche Polarisierung - brauche es die Haltung des Muts, "der Realität ins Auge zu sehen, den täglichen Nachrichten standzuhalten und trotzdem handlungsfähig zu bleiben". Auch die Kirche sei gefordert; Walser nannte "das Faktum Säkularisierung" und "die politische Vereinnahmung von Rechts". So werde etwa die Rede von "christlichen Werten von politischen Kräften bedient, die groteskerweise alles andere auf ihrer Agenda haben als die Verbreitung der christlichen Botschaft".
Im Rahmen der Konferenz wurde am Samstag auch das Jubiläum "30 Jahre nach dem Kirchenvolksbegehren" und das 30-jährige Bestehen von "Wir sind Kirche" gefeiert. Am Vorabend erhielten der bekannte Benediktinermönch Bruder David Steindl-Rast sowie der Moraltheologe Martin Lintner, Dekan der Philosophisch-Theologischen Hochschule (PTH) in Brixen, die "Trompete von Jericho" geehrt. Die Auszeichnung der österreichischen Kirchenreform-Bewegungen - konkret "Wir sind Kirche", Pfarrerinitiative, Laieninitiative und "Priester ohne Amt" - wurde heuer zum fünften Mal verliehen.
Walser warnte in ihrem Vortrag auch vor der "rechten Versuchung", die religiöse Sprache nutze, um Machtinteressen zu tarnen, dahinter aber Geschlechtergerechtigkeit, Minderheitenrechte und das Zweite Vatikanum (1962-1965) bekämpft. "Die Kirche darf sich nicht mit jenen solidarisieren, die Religion gegen Gleichberechtigung, Vielfalt und Demokratie instrumentalisieren." Vielmehr brauche es "Mut zur Demut" und eine Kirche, die auf Allmachtsphantasien verzichte und stattdessen auf Vertrauen und Solidarität setze.
Mut beginne, so Walser, nicht mit Kalkül, sondern mit Herz und Haltung. Das Wort verweise etymologisch auf "Seele und Geist" - altdeutsch muot - und damit auf das Innerste des Menschen. Diese Haltung sei aber nur möglich, "wenn man seine Ängste überwinden und über sich selbst hinauswachsen kann". Mutige Menschen riskierten etwas, "im äußersten Fall sogar sich selbst", betonte die Theologin. "Wer mutig ist, traut sich aus der eigenen Komfortzone heraus, riskiert sein eigenes Wohlbefinden. Nicht, weil es etwas zu gewinnen gäbe, sondern einzig und allein um einer guten Sache willen." Die Ordensfrau Hildegard von Bingen habe etwa die Tapferkeit vom Stumpfsinn abgegrenzt, der "durch Nichtstun und Jammerei" auffalle. "Manches in unserer Kirche hört sich derzeit sehr nach diesem Stumpfsinn an", kommentierte Walser. Aber: " Der Mut ist das Gegenprinzip: Er sorgt für Bewegung nach vorne."
Als Quellen des Muts benannte Walser die christliche Mystik und ihre großen Gestalten - neben Hildegard von Bingen etwa Teresa von Avila, Kimpa Vita, Dorothee Sölle, Edith Stein oder Madeleine Delbrel. Diese Frauen hätten aus dem Glauben heraus Kraft geschöpft, gesellschaftliche und kirchliche Missstände zu benennen und zu verändern - und somit zu "mutige Reformerinnen" zu werden. Mystik habe somit Potenzial für Reformen und mache "hellsichtig und hellhörig für die Realität und das Leiden anderer Geschöpfe".
"Würde der Frauen institutionell realisieren"
"Wir waren in der katholischen Kirche schon mutiger", meinte Walser. Als positive Beispiele für Mut nannte Walser die jüngsten Entwicklungen in anderen Kirchen: "In der anglikanischen Kirche gibt es erstmals eine Erzbischöfin von Canterbury, und im Patriarchat von Alexandria wurde die erste orthodoxe Diakonin geweiht." Beide Kirchen hätten "den Mut gehabt, von der Würde der Frauen nicht nur zu sprechen, sondern sie auch institutionell zu realisieren" und das Patriarchat anzufragen.
Die Theologin schloss mit einem Appell, den "Schwung des Glaubens" nicht zu verlieren: "Christlicher Mut heißt, keine Angst vor Experimenten und neuen Schritten zu haben. Er wächst aus der Freundschaft mit Christus und führt hinaus in die Welt." Je tiefer der Weg nach innen führe, "desto kraftvoller nach außen", so Walser.
Quelle: kathpress