
Linz: Spiritualität ein wichtiger Schlüssel für NS-Widerstand
Kann Spiritualität außer als bloß individuelle Dimension auch als Schlüssel zum Verständnis des Widerstands gegen den Nationalsozialismus gesehen werden? Rund um diese Frage drehte sich eine Internationale Tagung an der Katholischen Privat-Universität (KU) Linz, die sich den Märtyrergestalten der damaligen Zeit widmete. "Spiritualität war keine Weltflucht, sondern eine Weise, der Realität standzuhalten", hieß es demnach gleich in der Einführung, teilte die KU Linz am Mittwoch per Aussendung mit.
Die Tagung verband historische Forschung mit theologischer Reflexion und philosophischer Analyse. Dabei wurde die Rolle zentraler Begriffe wie Freiheit, Wahrheit und Gewissen im totalitären Kontext diskutiert. Damit sei Spiritualität eng verbunden - worin der Begriff weit über politische oder soziologische Analysen hinausgehe, hieß es bei der Tagung. Er mache jene inneren Quellen sichtbar, aus denen Mut, Gewissenstreue und Standhaftigkeit erwachsen.
Den Eröffnungsvortrag hielt Bischof Manfred Scheuer, Postulator im Seligsprechungsprozess von Franz Jägerstätter. Er sprach über "Wahrheit im Leben Jägerstätters" und beschrieb dessen Zeugnis als Suche nach Wahrheit und Liebe in einer Zeit der Lüge und Lieblosigkeit. "Die Lüge greift immer die Würde des Menschen an; die Wahrheit hingegen befreit den Willen - selbst wenn die Hände gefesselt sind", sagte Scheuer.
Edith Stein stand im Zentrum der Ausführungen von Daniela Köder, Vorstandsmitglied der Edith-Stein-Gesellschaft Österreich. Der Widerstand der Karmelitin, die vom Judentum zum Katholizismus konvertierte, sei selten politisch, aber theologisch bedeutsam gewesen. In ihrem Brief an Papst Pius XI. von 1933 habe sie den Nationalsozialismus als "Häresie und Verneinung Gottes" bezeichnet. Ihr Weg von der Phänomenologie zur Mystik des Kreuzes sei Ausdruck einer Wahrheitssuche gewesen, die Glauben und Vernunft verband.
Andreas Schmoller beleuchtete das Leben des französischen Karmeliten Père Jacques (Lucien Bunel), der jüdische Kinder versteckte und im KZ Mauthausen starb. Dessen Spiritualität beschrieb er als "Pädagogik der Nächstenliebe in Aktion". Bunel habe aus einer Spiritualität des Gehorsams und der Hingabe heraus gehandelt, die im Leiden zur Vollendung kam. Anne-Marie Bos vom Titus Brandsma Institut analysierte die Schriften von Titus Brandsma als Zeugnis einer "Widerstandskraft des Geistes". Er habe verschiedene Formen des Widerstands beschrieben - von der inneren Haltung bis zur bewussten Grenzziehung gegenüber Unrecht.
Sandra Lehmann von der Universität Wien stellte Simone Weil vor, die mit ihrem Plan für einen "Verband von Frontkrankenschwestern" Mystik und praktisches Engagement verband. Sie habe, so Lehmann, "eine andere Form des Mutes" verkörpert - nicht heroisch, sondern in der Nähe zum Leiden anderer. Wolfgang C. Schneider von der Universität Hildesheim würdigte Johannes Maria Verweyen als "Suchenden radikaler Ehrlichkeit". Verweyens intellektuelle Auseinandersetzung mit Glauben, Wissenschaft und Moderne habe ihn trotz äußerer Verfolgung zu geistiger Freiheit geführt.
Ein besonderer Moment war die Eröffnungsvorlesung von Inigo Bocken über den Philosophen Alois Dempf, der als einer der frühen intellektuellen Gegner des NS-Ideologismus galt. Dempf habe, so Bocken, der "ideologischen Pseudospiritualität" seiner Zeit die echte Mystik entgegengesetzt und den Unterschied zwischen geistiger Freiheit und politischer Macht offengelegt. Bei der Veranstaltung waren zwei Enkelkinder Dempfs anwesend.
Die beiden Organisatoren, das Franz und Franziska Jägerstätter-Institut in Linz sowie das Titus Brandsma Institut im holländischen Nijmegen, unterzeichneten im Rahmen der Tagung ein "Memorandum of Understanding". Es markiert den Beginn einer langfristigen wissenschaftlichen Zusammenarbeit zum Aufbau eines europäischen Forschungsnetzwerks für die Erforschung der spirituellen Dimension des Widerstands in Geschichte und Gegenwart.
Quelle: kathpress