
Fundamentaltheologin Bär: Maria zwischen Entrückung und Menschlichkeit
Religiöse Hoffnungsträgerin, kunsthistorisch überformte Figur, theologisch komplexes Sujet und politisch umkämpftes Symbol: Das sind die Spannungsfelder, in denen sich Maria von Nazareth, die Mutter Jesu, laut der Grazer Fundamentaltheologin Martina Bär in ihrer Rezeption bewegt. Hinzu kommen oft missverstandene Marienfeste, wie jenes am 8. Dezember (Mariä Empfängnis) und das dazugehörige Dogma der "Unbefleckten Empfängnis". Dass hier dogmatische Lehre, persönliche Frömmigkeit und historisch-kritische Analyse zusammentreffen, mache das Marienbild zu einem Brennpunkt aktueller theologischer und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen, in der Maria teils als Kampfbegriff konservativer Milieus herhalten müsse, so Bär gegenüber der Nachrichtenagentur Kathpress.
Am 8. Dezember feiert die Katholische Kirche das "Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria" durch ihre Mutter Anna ("Mariä Empfängnis"). Damit rücke die Überzeugung ins Zentrum, dass Maria "von Anfang an begnadet" war, wie die Universitätsprofessorin am Institut für Systematische Theologie und Liturgiewissenschaft der Universität Graz erklärt.
Auch das Dogma der "Unbefleckten Empfängnis" - 1854 von Papst Pius IX. als Glaubenslehre der katholischen Kirche verkündet - bekräftigt laut Bär die Vorstellung einer von Gott durchdrungenen Existenz. Es soll die Nähe Gottes zu einem menschlichen Leben ausdrücken, nicht dessen Entrückung. Die Figur der reinen, gnädigen Maria sei zudem ein Gegenbild zum strafenden Gott. "In einem Katholizismus, der stark auf Sünde ausgerichtet war, galt Maria als Hoffnungsfigur", so Bär wörtlich.
Frömmigkeit und Antimodernismus
Entstanden sei das Dogma in einer Epoche ausgeprägter Marienfrömmigkeit und antimodernistischer Tendenzen unter Pius IX. Auch die Volksfrömmigkeit habe maßgeblich zu seiner Durchsetzung beigetragen, betont Bär, Sprecherin des Forschungsschwerpunkts "Theologische Frauen- und Geschlechterforschung". Auffällig sei auch die Häufung von Marienerscheinungen im 19. Jahrhundert. "Die damalige Marienfrömmigkeit hat wesentlich zur Durchsetzung der Lehre beigetragen", so die Theologin.
In der frühen Neuzeit wie auch in der Gegenreformation sei die sogenannte Immaculatafrömmigkeit (lat. für "die Unbefleckte") weit verbreitet gewesen - geprägt durch Bildtraditionen, die Maria als junge, schöne Frau zwischen Himmel und Erde schwebend zeigen. In dieser wird eine Frau mit der Krone aus 12 Sternen (Offb. 12) beschrieben, die theologisch als Maria, die Mutter Jesu, interpretiert wird. Damit sei oft auch ein bestimmtes Frauenideal transportiert worden: Reinheit, Jungfräulichkeit, Mütterlichkeit - Zuschreibungen, die bis in die Gegenwart nachwirkten.
Zwischen Hoffnungsbild und Kampfbegriff
Heute verschiebe sich der Schwerpunkt: Persönliche Frömmigkeit und die Suche nach einem weiblichen Hoffnungs- und Reinheitsbild stünden vielerorts stärker im Vordergrund als die dogmatische Systematik. Manche weibliche Gläubige betrachteten Maria als "reineres und wahreres Glaubensvorbild" als Jesus, als Symbol völliger Unschuld in einer von Schuld, Gewalt und Krisen geprägten Welt. "Krieg, Klimakrise und gesellschaftliche Umbrüche verstärken das Bedürfnis nach einer Fürsprecherin, die Gnade und Erbarmen verkörpert", erklärt Bär dieses Phänomen.
Kritisch bewertet die Theologin hingegen kirchenpolitische Vereinnahmungen, insbesondere im Umfeld eines gesellschaftlichen Rechtsrucks. Speziell in konservativen bis neokonservativen Milieus werde Maria zunehmend zur identitätsstiftenden Grenzfigur - als "Mutter der Kirche", als Schutzsymbol und als Argument gegen genderbezogene Gleichstellungsdebatten - herangezogen. Als Beispiel nannte Bär Initiativen wie "Maria 1.0", die die Figur der Mutter Jesu nutzen, um traditionelle Frauen- und Familienrollen zu stützen, obwohl die biblischen Texte eine solche ideologische Aufladung nicht hergeben. "Wichtige theologische Deutungen und Dogmatisierungen sind von männlichen Theologen geprägt worden", gibt Bär zudem zu denken.
Maria als reale Frau
Feministische Theologie rücke hingegen die menschliche Seite Marias in den Vordergrund. Die Grazer Theologin nennt etwa ihre biografischen Belastungen als junge Mutter, ihre Stärke und die historischen Hinweise darauf, dass Jesus nicht ihr einziges Kind gewesen sei. Diese Perspektiven befreiten Maria aus idealisierenden Zuschreibungen, wie Bär erklärt.
In Lateinamerika habe wiederum die Mariologie von Frauen für Frauen, die von Gewalt und Ausbeutung betroffen sind, eine besondere Bedeutung: Maria werde hier als mitleidende, solidarische Gestalt wahrgenommen. Ähnlich die Befreiungstheologie, die strukturelle Ungerechtigkeit wie Armut, Diskriminierung oder zerstörerische Wirtschaftslogiken als Ausdruck "struktureller Sünde" reflektiert und damit Erbsünde meint. "Hier wird die menschliche Seite Maria wahrgenommen, die auch unter ungerechten gesellschaftlichen Bedingungen zu kämpfen und leiden hat", sagt Bär. Maria werde hier als menschliche und zugleich hoffnungsstiftende Figur verstanden, deren Leben Widersprüche und Brüche kannte - ein Gegenbild zur dogmatisch überhöhten Reinheitsfigur.
Das Dogma habe Maria lange vereinnahmt und zu sehr von der Welt entrückt, kritisiert Bär. Zentral sei daher, die Spannungen auszuhalten: Maria sei sowohl Hoffnungsträgerin vieler Gläubiger - auch angesichts struktureller Sünde wie Klimakrise, Hyperkapitalismus oder ökonomischer Ungleichheit - als auch reale Frau und damit realer Mensch.
Quelle: kathpress