
Interreligiöse Tagung über das Verhältnis von Religion und Demokratie
Unter dem Titel "Braucht Demokratie Religion? Kann Religion Demokratie" diskutierten eine Reihe von Expertinnen und Experten das komplexe Verhältnis von Staatssystemen und Glaubensgemeinschaften. Auf Einladung der Initiative ComUnitySpirit, des Afro-Asiatischen Instituts Graz und der Privaten Pädagogischen Hochschule Augustinum kamen am Dienstag und Mittwoch Vertreterinnen und Vertreter aus mehreren Religionsgemeinschaften zusammen, um die Vereinbarkeit von Religion und Demokratie sowie demokratische Strukturen und Grundsätzen innerhalb von Religionsgemeinschaften zu diskutieren, teilte die PPH Augustinum am Donnerstag mit.
"Selbstverständlich braucht Demokratie auch Religionen, denn ohne Halt kann man nicht leben, gerade in Zeiten, in denen Unsicherheit verbreitet ist", bezog die Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr in ihrem Eröffnungsstatement eine klare Stellung. "Florian Welzig, Leiter des Kultusamtes, erläuterte das österreichische System der Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften und erklärte, warum er darin einen verlässlichen Träger für die Zukunft sieht. Ein besonders sensibler Gradmesser für den Zustand einer Gesellschaft sei die Religionsfreiheit, deren Wesen darin bestehe, Religion nicht nur privat, sondern auch öffentlich auszuüben. Aus Welzigs Sicht sei die Gesellschaft auf vielen Säulen aufgebaut, Religion sei eine wesentliche davon.
Für das Judentum konkretisierte Rabbiner Yuval Katz-Wilfing, Geschäftsführer des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Österreich, die Rolle von Religion im Staat Israel. Er zeigte ein breites Spektrum von demokratischen bis zu antidemokratischen Aspekten innerhalb jüdischer Kultur und Religion auf und machte deutlich, dass diese aufgezeigte Vielseitigkeit eine differenzierte Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Ereignissen jenseits pauschaler Klischees ermögliche.
Im Blick auf den Islam sprach der Wiener Islamwissenschaftler Zekirija Sejdini über Positionen, die diese Religion schlichtweg als unvereinbar mit Demokratie darstellen, bis zu jenen, die im Islam an sich die wahre Verwirklichung von Demokratie sehen. Er legte dar, dass sich in den zentralen islamischen Quellen keine eindeutige Staatslehre finde; die Vielzahl und Unterschiedlichkeit konkreter Herrschaftsformen in der islamischen Welt vom iranischen Wächterrat über Scheichtümer bis zur Trennung von Sultanat und Kalifat und Demokratien untermauere diesen Befund. Wohl fänden sich in den Quellen aber leitende und demokratieförderliche Prinzipien, nämlich Würde, Gerechtigkeit, Beratung, Gewissen und Eignung für Ämter. Religion könne keine Ersatzverfassung sein. Sie könne aber, ebenso wie die Kunst, helfen, notwendige Resonanzräume zu schaffen, die der Demokratie und Gesellschaft ansonsten verloren gingen.
Francesco Di Lillo, Repräsentant der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage bei der EU, erläuterte Prinzipien und Meilensteine am Weg des "offenen Dialoges" zwischen der EU und Religionsgemeinschaften. Glaube bedeute eine Quelle für Sinn und moralische Orientierung. Damit stellten Religionen etwa der Jugend eine Art "Kompass" zur Orientierung gerade auch in neuen digitalen Welten zur Verfügung. Das European Buddhist Youth Network könne nach Darstellung seiner Vizepräsidentin Tara Gassler besonders jenen Jugendlichen, die ihr Vertrauen in demokratische Prozesse verlieren und zudem heute spiritueller Leere ausgesetzt sind, konstruktive Wege anbieten.
Der katholische Grazer Sozialethiker Thomas Gremsl beleuchtete die komplexe Genese des Phänomens Demokratie und analysierte dessen gegenwärtige Herausforderungen und Krise. Christliche Religion bringe dabei mit ihrer Botschaft von der Gottebenbildlichkeit und Würde des Menschen sowie von Hoffnung und Gerechtigkeit ein großes Potenzial ein - allerdings nur unter der Voraussetzung, dass christliche Kirchen diese Werte glaubwürdig vorleben und vertreten.
Abschließend diskutierten die Teilnehmenden in zwei Podien über demokratische Strukturen innerhalb von Religionsgemeinschaften. Muslimische Vertreter wie Mehmet Celebi, Amira Sharawi und Andin Berisha stellten Mitbestimmungsmöglichkeiten in ihrer Community dar. Christliche Repräsentantinnen und Repräsentanten - darunter Ioan Moga, Matthias Weigold und Anna Hollwöger - beleuchteten Vor- und Nachteile hierarchischer und demokratischer Kirchensysteme. Eine kurze Replik aus Bahai-Perspektive steuerte Luka Jakelja bei.
Quelle: kathpress