
Polak: Nächsten zehn Jahre entscheiden über Zukunft des Glaubens
Die Zukunft des christlichen Glaubens in seiner tradierten Form entscheidet sich in den kommenden zehn Jahren: Diese Prognose gab die Wiener Pastoraltheologin Prof. Regina Polak in einem Interview in der aktuellen Ausgabe der "Furche" (27. November). "Wir sehen in Österreich eine diffus liquidierte Religiosität", erläuterte die Theologin die Ergebnisse der von ihr verantworteten Studie "Was glaubt Österreich?" Der traditionell katholische Glaube sei "einerseits aufgelöst, aber gleichzeitig auch verflüssigt" und finde sich in "diffusen Formen verstreut durch die Gesellschaft". Wie sich dies entwickeln werde, würden die kommenden zehn Jahre zeigen.
Besonders zuversichtlich zeigte sich Polak jedoch nicht: "Was mich schmerzt, ist die Implosion eines substanziellen Christentums". So würden die Erhebungen zeigen, dass selbst unter Christen der Glaube an Jesus Christus als Sohn Gottes zu einem "marginalen Phänomen" geworden sei. Dazu komme, dass die Religionsgemeinschaften ihre "liberalen Flügel" verlieren würden. Damit gehe auch eine demokratische Gefahr einher: "In der katholischen Kirche entfernen sich viele Liberale langsam und still, weil ihnen die Reformen zu langsam gehen. Man braucht aber immer beide Flügel, wie in der Demokratie auch in der Kirche, denn wenn nur eine Ausrichtung übrigbleibt, ist diese auch leichter politisch instrumentalisierbar. Ich sehe das als reales Risiko, dem sich die Bischöfe stellen müssen."
Hinzu komme, dass das Christentum offenbar als kritisches Denkangebot nicht mehr überzeuge. Schließlich seien Glaube und Wissen ursprünglich keine Widersätze, aber heute werde Glaube und Religion häufig emotional verkürzt: "Insgesamt würde ich sagen, Glaube und Wissen sowie Vernunft schließen einander nicht aus, aber die Art und Weise, wie diese aufeinander bezogen werden, hat sich in der Geschichte immer wieder verändert. Da befinden wir uns derzeit in einer Entwicklung, die ich als katholische Theologin eher mit Sorge betrachte, weil eben der Anspruch auf Rationalität nicht sehr ausgeprägt ist."
Zur Emotionalisierung trage wohl auch bei, dass Religion unter jungen Menschen eine Art "Lifestyle-Komponente" geworden sei, in der auch der Social Media-Bereich eine wichtige Rolle spiele, so Polak weiter. Neben Halt und Orientierung würden junge Menschen dort auch nach "spirituellen Praktiken" für den Alltag suchen - dabei werde auf Religion zurückgegriffen, nicht jedoch auf das ihr eigene kritische Reflexionspotenzial: "Neben authentischen spirituellen Erfahrungen geht es bei vielen derzeit um Identität, um Zugehörigkeit, mitunter auch um Abgrenzung oder um den individuellen Nutzen und weniger darum, ob es auch intellektuell oder gar wissenschaftlich redlich ist, an Gott zu glauben. Da stehen alle Religionsgemeinschaften und die Demokratie vor einer großen Herausforderung."
Nicht zielführend sei es jedoch, angesichts all dessen und des anhaltenden Wachstums der muslimischen Gemeinschaft den eigenen Relevanzverlust gegen die Gefahr einer Islamisierung Österreichs auszuspielen, mahnte die Theologin. Wenn man sich durch den Islam bedroht fühle, dann sollte man gerade keine Politik der Ausgrenzung betreiben, sondern erst recht darauf achten, "dass die junge Generation gute Bedingungen zum Aufwachsen hat und nicht durch permanente Stigmatisierung ausgegrenzt wird". Denn durch diese Ausgrenzungserfahrung werde das Problem, das man fürchte, nur zusätzlich verstärkt.
Quelle: kathpress