
Soziale Grundrechte laut NGOs in Österreich unzureichend geschützt
Soziale Grundrechte sind in Österreich weder verfassungsrechtlich abgesichert noch einklagbar: Darauf haben die internationale Menschenrechtsorganisation FIAN Österreich und die Österreichische Armutskonferenz in einem neuen zivilgesellschaftlichen Bericht zur Umsetzung des UN-Sozialpakts in Österreich aufmerksam gemacht. Internationale Verträge wie der UN-Sozialpakt oder die Europäische Sozialcharta würden in der Rechtsprechung kaum herangezogen. Die Verfassung enthalte weder eine Sozialstaatsklausel noch spezifische Schutzbestimmungen für sozialrechtliche Ansprüche, heißt es in einer Aussendung anlässlich des Tags der Menschenrechte (10. Dezember). Der Bericht thematisiert auch Gleichstellung und geschlechtsspezifische Gewalt.
Die Organisationen fordern einen menschenrechtlichen "Kurswechsel". Soziale Menschenrechte müssten rechtsverbindlich verankert, staatliche Leistungen existenzsichernd ausgestaltet und politische Entscheidungen menschenrechtskonform getroffen werden. Österreichs Verfassung kenne - anders als etwa das deutsche Grundgesetz - keine Sozialstaatsklausel oder besondere Rechtsschutzmechanismen für sozialrechtliche Leistungen.
Hintergrund ist die 6. Staatenprüfung des zuständigen UN-Fachausschusses zur Umsetzung des UN-Sozialpakts in Österreich; diese findet regulär alle fünf Jahre statt. Der aktuelle Staatenbericht wurde 2024 mit mehrjähriger Verzögerung vorgelegt. Zivilgesellschaftliche Organisationen können im Rahmen dessen sogenannte Parallelberichte verfassen, um Umsetzungsdefizite darzulegen. Der Bericht wurde von FIAN Österreich und der Armutskonferenz koordiniert und unter Mitwirkung mehrerer weiterer zivilgesellschaftlicher Organisationen erstellt, darunter der Österreichische Behindertenrat, die Bundesjugendvertretung, pro mente Austria, arbeit plus und SOS Mitmensch.
Soziale Sicherheit unter Druck
Im Bereich der sozialen Sicherheit ortet der Bericht ebenfalls strukturelle Defizite. Entscheidungsfristen in der Sozialhilfe seien zu lang, Härtefallregelungen fehlten, Wohnkosten orientierten sich nicht an realen Preisen. Besonders betroffen seien Haushalte mit erhöhtem Armutsrisiko, darunter Alleinerziehende, Familien mit mehreren Kindern, Menschen mit Behinderungen, chronisch Erkrankte und Geflüchtete.
Laut Armutskonferenz könnten geplante Reformen auf Bundes- und Landesebene die Lage weiter verschärfen. Sozialexperte Martin Schenk verweist auf Kürzungen bei Wohnkostenpauschalen, Höchstsätzen sowie Zuschlägen für Alleinerziehende und Menschen mit Behinderungen. "Während die Lebenshaltungskosten steigen, werden zentrale Leistungen gekürzt oder demontiert. Das widerspricht klar dem Menschenrecht auf soziale Sicherheit", so die Kritik.
Recht auf Nahrung
FIAN Österreich verweist zudem auf alarmierende Entwicklungen beim Recht auf Nahrung. Laut Bericht sind rund 1,1 Millionen Menschen in Österreich von Ernährungsunsicherheit betroffen, 420.000 mussten Mahlzeiten auslassen oder zeitweise einen ganzen Tag nichts essen. Gleichzeitig steigt die Abhängigkeit von Lebensmittelausgaben durch Hilfsorganisationen. Dies sei ein Hinweis auf mangelnde Umsetzung des Rechts auf angemessene Ernährung, so FIAN-Sozioökonomin Anna Wagner. "Das Recht auf Nahrung ist ein fundamentales Menschenrecht. Wenn Menschen in Österreich Mahlzeiten auslassen müssen, wird dieses Recht verletzt", meinte Wagner.
Geschlechtergleichstellung und Gewalt gegen Frauen
Der Bericht enthält zudem Befunde zu Gleichstellung und geschlechtsspezifischer Gewalt. Österreich liegt laut "Global Gender Gap Report" 2025 auf Platz 56 und damit deutlich hinter dem Vorjahr (49). Frauen, Mädchen und LGBTQI*-Personen seien in besonderem Ausmaß von Gewalt betroffen. Nach Angaben im Bericht haben 15 Prozent der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren Gewalt erlebt; rund ein Drittel der Frauen zwischen 18 und 74 berichtet seit dem 15. Lebensjahr von körperlicher oder sexueller Gewalt. Die Zahl der Frauenmorde hatte sich zwischen 2014 und 2019 verdoppelt und liegt seither auf hohem Niveau. Österreich rangiert damit im negativen EU-Spitzenfeld.
Weiters sei die Datenlage zu Femiziden lückenhaft, systematische offizielle Erhebungen fehlten. In 85 Prozent der Fälle stamme die Gewalt von aktuellen oder ehemaligen Partnern. Besonders betroffen seien Frauen und Mädchen mit Behinderungen; sie erleben laut Bericht deutlich häufiger sexuelle Übergriffe als Frauen ohne Behinderungen.
Quelle: kathpress