Katholische Sozialakademie warnt vor politischer Aushöhlung der EMRK
Die Katholische Sozialakademie Österreichs (ksoe) warnt vor einer zunehmenden politischen Gefährdung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Wiederholte Vorstöße europäischer Regierungsvertreter, darunter auch aus Österreich, die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) einzuschränken, stellten "eine ernste Gefahr für die moralischen und rechtlichen Grundlagen der Menschenrechte" dar, heißt es in einer zum "Tag der Menschenrechte" (10. Dezember) veröffentlichten Stellungnahme.
Anlass der Warnung ist ein Schreiben von neun EU-Staats- und Regierungschefs vom Mai 2025. Darin wird eine Änderung der EGMR-Rechtsprechung gefordert, um Staaten größeren Spielraum bei der Abschiebung straffällig gewordener Ausländer zu ermöglichen. Nach Einschätzung der ksoe bleibt diese Kritik jedoch "immer unspezifisch", weil keine einzige konkrete Entscheidung genannt werde, an der der Gerichtshof die vermeintlichen Probleme verursacht habe. Dies schaffe Zweifel am Verständnis der Menschenrechte und stelle deren universellen Anspruch infrage.
Die EMRK sei ein tragender Bestandteil des europäischen Rechtsmodells, betont die ksoe. Österreich habe sie 1964 in Verfassungsrang erhoben; sie sei damit "das zentrale Grundrechtsdokument für Österreich". Ihre Entstehung sei vom Wunsch geprägt gewesen, grundlegende Schutzrechte dauerhaft abzusichern, insbesondere gegenüber totalitären Entwicklungen. Anders als die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UNO habe die EMRK einen "klaren rechtlichen Charakter", schaffe einklagbare Rechte und ein Gericht, das verbindliche Entscheidungen treffe.
Folterverbot "nicht verhandelbar"
Zentrales Element seien die absoluten Rechte: das Recht auf Leben, das Folterverbot und der Schutz vor unmenschlicher Behandlung. Diese seien, so die ksoe, "nicht verhandelbar" und dürften nicht durch politische Zwecklogiken relativiert werden. Der EGMR untersage Abschiebungen daher nur, wenn einer Person im Zielstaat Folter oder Tod drohten; die EMRK selbst enthalte "kein Recht auf Asyl". Viele Rückführungen scheiterten in der Praxis nicht an Menschenrechten, sondern an fehlenden Abkommen oder an administrativen Problemen.
Mit Sorge beobachtet die ksoe, dass politische Kritik an EGMR-Urteilen migrationspolitische Debatten zunehmend mit grundlegenden Menschenrechtsfragen vermische. "Wer die EMRK in Frage stellt, muss auch sagen, was die Alternative zu ihr sein soll", heißt es weiter. In Österreich würde eine Schwächung der EMRK unmittelbar große Teile des verfassungsgerichtlichen Grundrechtsschutzes berühren.
Grenze politischer Macht
Die Akademie warnt zudem vor einer politischen Rhetorik, die Menschenrechte oder internationale Gerichte demokratischen Entscheidungen entgegenstellt. Dabei werde übersehen, dass europäische Demokratien nach 1945 bewusst als menschenrechtsbasierte Rechtsstaaten konzipiert worden seien. Menschenrechte bildeten eine Grenze politischer Macht und schützten Minderheiten ebenso wie Einzelpersonen.
Aus Sicht der Katholischen Sozialakademie gefährden aktuelle Forderungen die universelle Geltung von Menschenwürde und Grundrechten. Eine rechtsstaatliche Demokratie sichere - so ein weiterer zentraler Satz - "unter den aktuellen politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Bedingungen zweifellos am besten die Beachtung des Personalitätsprinzips" und damit das Gemeinwohl. Die ksoe ruft daher dazu auf, migrations- und sicherheitspolitische Herausforderungen "tatsächlich auf den Grund zu gehen", statt grundlegende Rechte zur Disposition zu stellen.
Aktivisten unter Druck
Die Katholische Sozialakademie sieht die Debatte um die EMRK eingebettet in eine internationale Entwicklung, in der Menschenrechtsinstitutionen zunehmend unter Druck geraten. Auch das europäische Netzwerk der nationalen Iustitia et Pax-Kommissionen warnte zum 10. Dezember vor einer "wachsenden Belastungsprobe für das internationale Menschenrechtssystem". Weltweit häuften sich schwere Menschenrechtsverletzungen, von Angriffen auf Zivilisten in Sudan und der Ukraine bis zu extralegalen Tötungen und Repressionen in Nicaragua und Iran. Diese Beispiele zeigten, "dass ein Leben in Frieden und Würde nicht möglich ist, wenn die internationale Gemeinschaft tatenlos zusieht". Starke Institutionen seien notwendig, um Verantwortung, Rechenschaft und Recht durchzusetzen.
Zugleich schwäche sich das internationale System weiter. Das Netzwerk wies hier darauf hin, dass sich die USA aus der Allgemeinen Menschenrechtsprüfung zurückgezogen hat; autoritäre Staaten bauten Einfluss aus, und Russland wie China versuchten gezielt, UN-Menschenrechtsstrukturen durch Mittelblockaden zu schwächen. Auch der Internationale Strafgerichtshof stehe unter Druck: Mehrere Staaten kündigten 2025 ihren Rückzug aus dem Rom-Statut an, die USA belegten IStGH-Beamte mit Sanktionen. Europa selbst sei betroffen: Forderungen mehrerer Regierungen, die Europäische Menschenrechtskonvention und die Rechtsprechung des EGMR zu "überprüfen", gefährden die Autorität und Bindungswirkung des Gerichts.
Menschenwürde vor staatlicher Souveränität
Iustitia et Pax Europe betont, dass die Menschenwürde staatlicher Souveränität vorausgeht. Internationale Menschenrechtsinstitutionen seien Ausdruck der "moralischen Einheit der menschlichen Familie". Ihre Schwächung sei daher nicht nur eine politische, sondern auch eine moralische Krise. Werde Würde zu einer subjektiven Größe, verlören Rechte ihre ethische Grundlage und würden ideologischer Umdeutung ausgesetzt. Ein kohärentes Menschenrechtssystem benötige ein stabiles Verständnis der Person, deren Würde die Universalität aller Rechte begründet.
Die Organisation appelliert an Staaten und europäische Institutionen, die internationale Menschenrechtsordnung zu stärken. Dazu zählten etwa die Beteiligung an UN-Menschenrechtsmechanismen, die Erneuerung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH), die entschiedene Umsetzung von Entscheidungen, ausreichende Finanzierung der Institutionen und die Förderung einer Kultur des Respekts für Menschenwürde und Rechte durch Bildung und Öffentlichkeitsarbeit.
Quelle: kathpress
