Theologe warnt vor religiöser Rechtfertigung autoritärer Politik

Der Religionsphilosoph Hans Schelkshorn hat in seiner Abschiedsvorlesung an der Universität Wien vor einer religiösen Legitimierung autoritärer und nationalistischer Politik gewarnt. Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit seien keine säkularen Fremdkörper, sondern tief in der jüdisch-christlichen Tradition verankert, so der langjährige Professor für interkulturelle Religionsphilosophie am Dienstagabend. Religion verliere ihren Kern, wenn sie den Einsatz für Arme und Entrechtete preisgebe, so Schelkshorn, der dabei auch religiös motivierten nationalistischen Autoritarismus kritisierte, "der die Menschenrechte öffentlich denunziert".

"Evangelikale und rechtskatholische Gruppen bekämpfen die Idee der Menschenrechte als Ideologie der atheistischen Aufklärung oder wie Viktor Orban als 'liberales Blabla'", sagte Schelkshorn. Solche Positionen fänden sich aber auch in orthodoxen Kontexten, etwa wenn die neoimperiale Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu einem "metaphysischen Krieg" verklärt werde. Auch "libertäre Techno-Oligarchen", die rechtliche Bindungen zugunsten wirtschaftlicher Freiheit ablehnten, verfehlten den ethischen Anspruch religiöser Traditionen: "Die Utopie einer Insel der Superreichen, abgeschottet von den Armen, ist wohl die krasseste und zugleich groteske Gegenutopie zur Vision der Propheten der Völkerwallfahrt zum Berg Zion, wo Recht gesprochen wird im Streit der Völker und mächtige Nationen zurechtgewiesen werden."

Religionsphilosophie, so Schelkshorns Fazit, wolle Religionen nicht ersetzen, aber ihr kritisches Potenzial freilegen und gegen ihre politische Instrumentalisierung verteidigen. In einer Zeit, "in der die Welt wie vor hundert Jahren wieder in einer dunklen Nacht zu versinken droht", könne eine Religionsphilosophie "wissentlich" aus der Quelle des Prophetismus schöpfen. "Doch es braucht ohne Zweifel mehr als eine Philosophie", meine Schelkshorn abschließend - notwendig sei eine erneuerte inspirierende prophetische Stimme, die gesellschaftliche Ungerechtigkeit beim Namen nennt und zur Verantwortung ruft.

Schelkshorn leitete von 2016 bis zu seiner Emeritierung am 1. Oktober das Institut für interkulturelle Religionsphilosophie der Universität Wien. Der Mitbegründer der Fachpublikation "Polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren" wurde 2019 zum Universitätsprofessor ernannt und ist seit 2014 Präsident der Wiener Gesellschaft für interkulturelle Philosophie (WIGIP). In der jüngeren Vergangenheit warnte Schelkshorn mehrfach öffentlich vor einer Allianz von Kirchen mit Ideologen der "Neuen Rechten".

Gott der Armen

Im Fokus von Schelkshorns Abschiedsvorlesung stand zudem der Verweis auf den "Gott der Armen", der auf den jüdischen Prophetismus zurückgeht und von Denkern wie Hermann Cohen und Emmanuel Lévinas philosophisch neu erschlossen worden ist. Gotteserkenntnis vollziehe sich demnach nicht primär theoretisch, sondern in praktizierter Gerechtigkeit, insbesondere im Einsatz für Arme, Witwen, Waisen und Fremde, führte Schelkshorn aus und verwies dabei auf die Befreiungstheologie.

Cohen, einer der wichtigsten Vertreter der jüdischen Religionsphilosophie des frühen 20. Jahrhunderts, habe Religion als "Religion der Vernunft" verstanden, in der das soziale Leid ins Zentrum rücke, erläuterte Schelkshorn. Lévinas habe diesen Ansatz nach der Shoah radikalisiert, indem er Ethik als unbedingte Verantwortung für den Anderen deutete. Gottes Gegenwart zeige sich - so Lévinas - allein in dieser Verantwortung. Die Rede von Gott sei bei beiden untrennbar mit sozialer Gerechtigkeit verbunden. Ein völkischer Nationalismus, auch in jüdischer Variante, stehe damit nach Lévinas im Widerspruch zum Erbe des Prophetismus, so Schelkshorn.

Diese Linie habe in der lateinamerikanischen Philosophie und Theologie der Befreiung eine neue politische und interkulturelle Zuspitzung erfahren, etwa bei Gustavo Gutiérrez oder Enrique Dussel, wie Schelkshorn ausführte. Der Dienst an den Armen sei somit aber nicht nur theologisch religiöses Motiv, sondern finde sich kultur- und religionsübergreifend sowie als politischer Maßstab wieder. Schelkshorn verwies auch auf historische Gestalten wie Bartolomé de las Casas oder indigene Denker der Kolonialzeit, die im Geist der Propheten gegen Ausbeutung und Gewalt aufgetreten seien.

Quelle: kathpress