
Engel hatten nicht von Anfang an Flügel
Die Flügel gehören zum Engel wie der Topf zum Deckel, zumindest, wenn es nach den Vorstellungen des Menschen im 21. Jahrhundert geht. Doch die göttlichen Boten waren nicht von Anfang an geflügelte Wesen. Das haben nun Untersuchungen der Abteilung Christliche Archäologie der Universität Bonn ergeben. In der Datenbank "14CAUB" sammelt die Abteilung Fakten zur Altersbestimmung von Textilien aus dem 1. Jahrtausend vor Christus bis zum 1. Jahrtausend nach Christus. Das Ergebnis: Erst ab Mitte des 4. Jahrhunderts nach Christus tauchten die ersten Abbildungen von geflügelten Engeln auf.
Anhand der 269 untersuchten Gewänder, Wandbehänge und Mumien könnten auf einzigartige Weise archäologische und technologische Informationen zu den Geweben verknüpft werden, gab die Universität bekannt. Demnach wurden Engel ursprünglich als männliche Figur, häufig in kurzem Gewand und mit einem Stab, dargestellt. "Engel sind in der christlichen Ikonographie zunächst einfach Boten, die den Menschen Nachricht und Hilfe von Gott überbringen", so Sabine Schrenk von der Uni in Bonn. Erst die Verschmelzung der himmlischen Boten mit der geflügelten Siegesgöttin Victoria aus der römischen Mythologie im 4. Jahrhundert nach Christus habe das Engelsbild, wie es uns heute vertraut ist, geformt.
Ablesen kann man diese Verschmelzung laut der Forscherin an Textilien aus der Spätantike: Die sogenannte "Marienseide" im Textilmuseum der Abegg-Stiftung im Schweizer Riggisberg - sie wird von Forschern ungefähr ins späte 4. oder frühe 5. Jahrhundert datiert -, zeigt noch einen Götterboten ohne Flügel. Im selben Museum ist auf dem etwas älteren "Genesis-Wandbehang", auf dem alttestamentarische Szenen dargestellt werden, schon eine Figur mit großen Flügeln zu erkennen. Die Kombination aus Radiokarbonmethode und stilistischer Methode ergibt die sichere Datierung des Wandbehangs in die Mitte des 4. Jahrhunderts nach Christus. Damit handelt es sich um die älteste Engelsdarstellung mit Flügeln.
Bislang finden sich laut Schrenk kaum archäologische Forschungsansätze, in denen Textilien als Datierungshilfen herangezogen werden. Das Beispiel des Genesis-Wandbehangs zeige aber, wie wertvoll die Zusammenstellung datierter Gewebe in der Datenbank (www.textile-dates.info) ist. In der Datenbank sind erstmals Gewebe öffentlich zugänglich erfasst, deren Alter mit der Radiocarbonmethode bestimmt wurde. Wissenschaftler nutzen die Daten um mehr über Kleidung, Färbetechniken, Schafzucht und Handelswege in der Zeit der Spätantike, wie auch über die Symbolik des frühen Christentums zu erfahren.
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