
Religions- und Meinungsfreiheit ergänzen sich
"Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit schließen einander trotz gelegentlicher Spannungsfelder nicht aus", vielmehr "unterstützen und ergänzen sich" diese beiden fundamentalen demokratischen Grundrechte. In dieser Einschätzung war sich Peter Schipka, Generalsekretär der Österreichischen Bischofskonferenz, am Dienstagabend mit seinen Diskussionspartnern einig; der Theologe und Jurist tauschte sich mit folgenden Fachleuten über das Thema "Meinungsfreiheit vs. Religionsfreiheit - Neue Gegensätze in Europa?" aus: mit Rubina Möhring, Präsidentin von "Reporter ohne Grenzen Österreich", mit dem Rechtsphilosophen Prof. Christian Stadler von der Universität Wien und mit Gabriel Toggenburg von der EU-Agentur für Grundrechte. Rund 100 Interessierte waren der Einladung ins Außenministerium gefolgt.
Zur Sprache kam dabei wenig überraschend auch der Terrorakt gegen die Redaktion des Pariser Satiremagazins "Charlie Hebdo" und die Mohammed-Karikaturen von 2005 in der dänischen Tageszeitung "Jyllands-Posten". Schipka erklärte dazu, es gebe zwar auch für Religionen "kein Recht, nicht beleidigt zu werden", zugleich bedürfe es aber des Schutzes für "das, was Menschen heilig ist". Ginge der Respekt davor verloren, würde die Gesellschaft insgesamt verrohen. Der Mitarbeiter der Bischofskonferenz plädierte für eine "Vielsprachigkeit", die das Lernen über Andersdenkende und -gläubige voraussetze; eine "agnostische Einheitssprache" solle auch in einem weltanschaulich pluralistischem Staat niemand abverlangt werden.
Zivilisationsschub" auch für Religionen
Nach leidvollen Kriegen habe es in Europa "einen Zivilisationsschub" gegeben, durch den auch die Religionen - jedenfalls das Christentum - dazugelernt hätten, so Schipka. Er erinnerte an die Initiative von Papst Johannes Paul II. für das Friedensgebet von Assisi mit Vertretern zahlreicher Religionen im Jahr 1986 als Beispiel für den errungenen Respekt vor Andersdenkenden. Diesen wünsche er sich auch von Nicht-Gläubigen, sagte Schipka.
Der "Blasphemieparagraph" in Österreich - laut § 188 Strafgesetzbuch ist die "Herabwürdigung religiöser Lehren" verboten - schütze letztlich nicht die Religion ("Gott ist nicht beleidigbar"), sondern den sozialen Frieden im Land vor "berechtigtem Ärgernis", erinnerte Schipka als ausgebildeter Strafrechtler. Er wünschte sich eine gute Diskussions- und Streitkultur in Österreich, zu der auch eine fundierte Medienkritik gehöre. Der Appell "Bitte seien Sie achtsam!" gelte nicht nur für U-Bahn-Benützer, sondern solle auch den öffentlichen Diskurs bestimmen.
Schipka wies weiters darauf hin, dass staatliche Gesetze eine Einschränkung der Meinungsfreiheit nicht nur in religiösen Belangen vorsehen: Strafbar seien auch üble Nachrede, Beleidigungen, das Vorhalten einer gerichtlichen Verurteilung und auch die Herabwürdigung des Staates und seiner Symbole wie etwa Fahnen. Derartige Grenzen der Meinungsfreiheit seien sinnvoll, denn es gebe fraglos auch deren Missbrauch, sagte Schipka.
"Brandbeschleuniger, nicht -verursacher"
Prof. Stadler vom Wiener Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht erklärte, Demokratie und Freiheitsrechte seien in Europa und anderswo lange erkämpft worden, würden heute aber als selbstverständlich und "aus der Steckdose" kommend empfunden. Das führe zu einer Entwicklung, dass Freiheit beansprucht, Verantwortung aber negiert werde. "Meinungsfreiheit wird benutzt, um Religionsfreiheit unter Druck zu setzen", so Stadler. Religion wurde und wird laut dem Wissenschaftler in Konflikten missbraucht, in denen es eigentlich um Macht gehe. Religion sieht Stadler dabei als "Brandbeschleuniger, nicht -verursacher".
Auch Rubina Möhring meinte, den radikalisierten Jugendlichen, die als islamistische Kämpfer in den Krieg ziehen, "geht es um Macht, nicht um den Islam". Der "Islamische Staat" missbrauche den Islam ähnlich wie das Christentum in den Kreuzzügen missbraucht worden sei. Bemühungen um Integration von islamischen Zuwanderern und um Lebenschancen für alle Mitglieder einer Gesellschaft seien zielführender als Investitionen in Sicherheitsmaßnahmen. Der Staat solle gegen "hate speech" (Hassreden) einschreiten und die Würde des Menschen gesetzlich schützen.
Gegen "exzessive Blasphemiegesetze" sprach sich Gabriel Toggenburg aus, weil sie laut Studien eher den Minderheitsreligionen schadeten. Österreichs Paragraf 188 falle anders als z.B. jenes in Pakistan nicht in diese Rubrik. Auf der politischen Ebene herrsche in der Union weitgehend Konsens, dass es keine Blasphemiegesetze geben solle; anders sei dies auf der juristischen Ebene etwa des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. In Europa hätten sechs Staaten Blasphemiegesetze, anderswo würden Beleidigungen ohne diesen expliziten Zuschnitt geahndet.
Die Diskussion fand im Rahmen der Strategiegespräche des Außenamtes statt. Diese gehen auf eine Initiative von Außenminister Sebastian Kurz zurück, mit dem Ziel, den außen- und integrationspolitischen Dialog zu fördern.