"Das Schweigen Gottes irritiert mich"
Frau Magnis, Ihr Buch "Gott braucht dich nicht" ist ein Bestseller geworden. Wie erklären Sie sich den Erfolg? Haben Sie mit dem Thema einen Nerv getroffen?
Ich glaube, viele Menschen stoßen sich auf ähnliche Weise an Gott wie ich es in dem Buch nach dem Tod meines Vaters beschreibe. Sie nehmen Anstoß an seinem Schweigen, vermissen ihn.
Ihr Stil ist sehr eingängig und direkt. Fehlt Ihnen in anderen literarischen Auseinandersetzungen mit Gott dieser spezielle „Sound“?
Als gläubiger Mensch über Gott zu schreiben ist eigentlich schrecklich, da es bei Gott ja um das Ganze, die Wahrheit, um Alles geht. Man will nichts weglassen. Und das führt schnell dazu, dass man einen missionierenden Ton bekommt, oder eben nur akademisch über ihn schreiben kann. Das wollte ich beides nicht.
In Ihrem Buch beschreiben Sie, welche tiefe Erschütterung in Ihrem Glauben der Krebstod Ihres Vaters bedeutet hat. Eine "normale" katholische Biografie und Sozialisierung kippte in der Folge um in einen völligen Nihilismus. Was hat schließlich den Ausschlag gegeben, dass Sie heute wieder glauben können?
Das lässt sich nicht in einem Satz sagen, und auch im Buch kann man es nicht an einer einzelnen Stelle festmachen. Dieser zersetzende Nihilismus, der mir das Gefühl gab, dass nichts zählt machte mich ja unberührbar für alles, weil einem alles einschließlich man selbst egal wird. Es gab aber einen Moment, als ich meiner Großmutter ein Kinderlied gesungen habe, der traf mich, weil ich für Sekunden wieder empfand wie als Kind- ich wurde sozusagen an mich selbst erinnert. Ich begann wieder über meine Würde nachzudenken, woher die kam, wo die Wahrheit war.
Eine Leseprobe aus:
Esther Maria Magnis "Gott braucht dich nicht. Eine Bekehrung"
Rowohlt | ISBN: 3498064061
Preis: 9,99 Euro (Taschenbuch)
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Steffi antwortete nicht. Sie sah mich nur mit aufgerissenen Augen an. "Esther", sagte sie laut und stockte, als wartete sie darauf, dass mein Name reicht, damit ich wüsste, was sie sagen wollte. "Papa stirbt!" (…) Ich starrte Steffi an. Sie starrte mich an. Und dann packte mich die Wut. Empört darüber, dass jemand die Logik der Welt außer Kraft setzen will, machte ich die wahrste Aussage, sprach das Naturgesetz aus und das Recht und die Ordnung und schnauzte: "Aber das geht nicht! Der kann nicht sterben. Steffi! Stell dir mal Mama vor, wenn Papa tot ist. Der kann nicht sterben!" Wer will sich Tod denken können. Wer will die Auslöschung eines Menschen denken können, den man liebt. Das möchte ich sehen. (…) Man kann einen Menschen, den man liebt, nicht tot denken. Trotzdem war es wahr, dass Papa im Sterben lag. Mein Glaube an Papas Heilung war nicht etwa Verdrängung. Es war die Unmöglichkeit des Gedankens vom Tod. (…) Ein empirisches Wunder erschien mir viel realistischer als der Tod, viel wahrer.
(...)
Ab diesem Tag begann ich, mein ganzes Vertrauen Gott zu schenken und zu glauben, (…) dass Papa gesund würde, weil ich betete, als hätte ich’s schon empfangen. Den letzten Zweifel verscheucht. Danke, dass du uns helfen willst. Danke, dass du Papa gesund machst. Ich sprach zu ihm, den ich am Meer ahnen durfte. Ich gab ihm den Glauben aus meiner frühesten Kindheit. Und ein halbes Jahr später habe ich das Stockwerk des Krankenhauses zusammengeschrien und kurz vorm Wahnsinn gedacht, ich müsse mir die Haut vom Gesicht reißen, als ich meinen Vater tot im Bett liegen sah. Danach bin ich verstummt. Totenstille die ganze Welt. Still und kalt. Wie wenn Schnee gefallen ist. Ohne Gott. Ohne mich. Und keine Regung mehr.
(...)
Und dann hab ich es dem Gott gesagt. Ins Dunkle hinein. Dass ich ihn hasse. Ich habe ihn so beschimpft, wie man jemanden beschimpft, dem man weh tun möchte, den man zutiefst verletzen will, noch mehr: den man dazu bringen will, sich zu wehren, zu regen (…). Das Schlimme war ja, dass ich wusste, dass es ihn gab. Diese Gewissheit war ganz klar da, das gebot mir auch nach wie vor mein Intellekt. (…) Ich habe ihm gesagt: "Ich glaube nicht mehr an dich. Du bist tot. Ich hasse dich." Und dann war wieder Stille. (…) Ich wollte, dass Gott aus meinem Denken ganz verschwindet, ich wollte sauber aufräumen darin. Und dazu gehörte als Erstes, den Gedanken zulassen zu müssen, dass dieses Leben mit dem Tod beendet wird. Das war schrecklich.
(...)
Ich glaube, Gott fehlt uns. Ich glaube, wir vermissen Gott. Und wir sind verletzt. Nicht alle. Ich würde das niemals jemandem einreden wollen oder mich damit über Atheisten erheben wollen. Ich weiß, dass es gute Gründe gibt, nicht zu glauben. Aber manchmal denke ich, die meisten Menschen sind einfach nur traurig, dass er nicht da ist. Dass er schweigt. Und dass man darum selber irgendwann stumm wird. Ich habe damals langsam wieder zu sprechen begonnen. Ich weiß nicht viel. Ich habe aber die Gewissheit, dass das, was wir sagen, nicht an den Glasscheiben endet, nicht in der Luft verweht wird – es wird erwartet. Jede unserer Regungen wird in diesem Geist begleitet. Drängend, still, hoffend. Als ginge es um uns Menschen. Als hätten wir einen hohen Wert. Als würde das, was hier geschieht, irgendwie zählen, ob wir das wollen oder nicht. Wir sind da. Wir denken. Wir handeln. Ich bete, dass er mich führt. Dass mein Schritte an seiner Wahrheit entlanglaufen. Ich will mich nicht mehr entfernen von Gott. Es macht keinen Sinn. |
Ein positives emotionales Ereignis, das Sie bis heute trägt?
Nein. Dieser Moment ging vorbei. Der Weg zum Glauben war dann noch lang. Es war eine Entscheidung und Erkenntnis. Auch heute habe ich noch Phasen, in denen ich nicht glauben kann, in denen ich der Leere von damals nahe komme. Aber ich entschließe mich jedes Mal neu, dahinter nicht wieder zurückzugehen. Ich weiß, was "dahinter" ist – nämlich nichts, Dunkelheit.
Welche Erfahrungen, welche Fragen erschüttern Sie nach all dem, was Sie erlebt haben, überhaupt noch?
Ich weiß, dass ich durch meine Erfahrungen den Abgrund nur erahne, den es für andere Menschen im Leben gibt. Das ist vielleicht das Erschreckendste am eigenen Leid.
In Ihrem Buch beschreiben Sie einen sehr existenziellen, direkten Zugang zu Gott. Das Thema Kirche tritt im Laufe Ihrer Auseinandersetzung mit Gott immer mehr in den Hintergrund. Wie sehen Sie das heute?
Ich bin katholisch und gehe Sonntags in die Messe. Mein Alltag ist durchdrungen vom Kirchenjahr. Momentan ist noch Weihnachtszeit, also steht der Christbaum noch und wir singen noch Weihnachtslieder und beten vor der Krippe. Vor der Fastenzeit will ich mindestens noch einmal einen Entenbraten gemacht haben, weil es dann kein Fleisch mehr gibt. Alles dreht sich um diese Zeiten.
In Ihrem Buch beschreiben Sie Ihre Ablehnung für eine kirchliche Praxis, die Gott bis zur Unkenntlichkeit klein macht, indem sie sich zur Moral-Agentur degradiert, die sich zu Politik, Entwicklungshilfe, Wirtschaft und anderen Fragen äußert, aber offenbar Gott dabei vergisst…
Diese Kritik am katholischen Sozialkitsch würde ich mit anderen Worten noch immer aufrechterhalten – auch wenn ich wohl insgesamt versöhnlicher geworden bin. Der Gedanke, jeden Sonntag predigen zu müssen, würde mich furchtbar unglücklich machen. Ich stelle mir das unglaublich quälend vor, immer von Gott sprechen zu müssen.
Esther Maria Magnis, Jahrgang 1980, hat Vergleichende Religionswissenschaft und Geschichte studiert. Sie lebt und arbeitet in Berlin.
Quelle: Zeitschrift "miteinander" (Ausgabe 3/2015)