"Gib Gott in deinem Leben eine Chance!"
Schwestern und Brüder im Herrn!
Am Beginn der Fastenzeit darf ich mich wieder mit einem Hir- tenwort an Sie, liebe Gläubige, wenden. Papst Franziskus hat am 8. Dezember ein Heiliges Jahr der Barmherzigkeit ausge- rufen. Dieses Jahr möge – so seine Intention – für alle Men- schen guten Willens ein Jahr der Gnade sein. Eine glückliche Fügung; denn in diesem Jahr eröffnen wir einen Weg der Besin- nung und des Ausblicks auf unsere Berufung – Kirche im 21. Jahrhundert zu sein. Bald nach Beginn meines Dienstes in der Erzdiözese wurde das Anliegen geäußert, einen Prozess der Er- neuerung einzuleiten. Ich habe diese Idee gerne aufgenommen. In den verschiedenen Gremien wurde darüber ausführlich ge- sprochen, so dass die Entscheidung gereift ist, am Pfingst- montag mit einer großen Auftaktveranstaltung im Dom zu Salzburg diesen zweijährigen Prozess der Erneuerung einzulei- ten. Den feierlichen Abschluss soll das Fest unserer Diözesan- patrone Rupert und Virgil im Jahr 2018 bilden, bei dem wir zu- gleich des Fünfzigjahrjubiläums der Diözesansynode 1968 ge- denken wollen.
Nun liegt es an uns, einen beherzten Anfang zu setzen. Im Buch Kohelet heißt es: „Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit“ (Koh 3,1). Jesus beginnt sein öffentli- ches Wirken unter dem Himmel von damals mit einem Aufruf:
„Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium“ (Mk 1,15). Der Aufruf sei uns Weckruf. Das Evangelium bleibt durch alle Zeiten hindurch ak- tuell. Die Zeit ist erfüllt! Lasst uns anfangen! Lasst uns umkeh- ren! Die Fastenzeit lädt im Jahresrhythmus dazu ein. Das Reich Gottes ist nahe. In dieser Nähe offenbart sich die Ursehnsucht Gottes, ein Gott mit den Menschen, ein Gott mit uns zu sein. Jesus beginnt sein öffentliches Wirken nicht mit drohenden Worten, er predigt nicht das Gericht; Jesus wirbt um Glauben: „Glaubt an das Evangelium!“
Hoffnung keimt auf, dass uns im Vertrauen auf Gottes Gnade und zueinander ein neues Erwachen des Glaubens gelingen möge. Bei Vorgesprächen herrschte Einmütigkeit – Erneuerung kann nur durch eine geistlich-spirituelle Besinnung auf die Wurzeln unseres Glaubens geschehen, nach den Worten des Psalmisten: „Wenn nicht der Herr das Haus baut, müht sich je- der umsonst, der daran baut“ (Ps 127,1). Darum ist das Gebet so wichtig. Dazu ein Zeugnis von Reinhold Schneider, einem Schriftsteller und christlichen Denker, der es wahrlich nicht leicht hatte. Gegen Ende seines Lebens schreibt er: „Heute weiß ich, dass nur der Betende wahrhaft geführt wird und nur die im Gebete errungenen Gewissheiten nicht zerbrechen. Aber diese verpflichten unbedingt. Ohne die Verantwortung im Gebete ist es nicht möglich, noch erlaubt, irgendeinen Einsatz zu leisten.“ Jesus hat uns ein wunderbares Gebet hinterlassen. Machen wir dieses Gebet zu unserem täglichen Begleiter auf dem Weg der Erneuerung. Wo immer wir beten, ob in der verborgenen Kam- mer des Herzens oder gemeinsam in der Kirche, immer sollen wir sagen: „Unser Vater im Himmel, dein Name werde gehei- ligt, dein Reich komme, dein Wille geschehe!“ Dieses Gebet lehrt uns die rechte Rangordnung: zuerst Gott, seine Ehre, die Heiligung seines Namens, sein Wille soll geschehen. So werden wir Gehör finden mit den Anliegen unseres Lebens – Jesus lehrt es uns (vgl. Mt 6,9 ff).
Dieser Logik entspringt das Leitwort des diözesanen Erneue- rungsprozesses: „Gib Gott in deinem Leben eine Chance!“ – Ein Wort aus einer für mein Leben prägenden Erfahrung. Mein Weg führte nicht direkt in die Berufung zum Priester. Obwohl ich eine gute religiöse Erziehung durch meine Eltern und im Religionsunterricht erfahren hatte, erlosch in mir während der Jugendjahre der Glaube. Nach mehreren Um- und Irrwegen landete ich schließlich als UNO-Soldat auf Zypern. Bei ein- samen Wachgängen unter freiem Himmel, mitunter auch etwas angsterfüllt, kam ich zum Denken und das führte mich hin zum Lesen der Heiligen Schrift. Die Bibellektüre hat mich be- ruhigt. Das Lesen des Wortes Gottes wurde mir zur täglichen Gewohnheit. Ich freute mich auf die Zeit des Weiterlesens. Da geschah es aber: An der Stelle im Evangelium nach Matthäus, wo es heißt: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen“ (Mt 11,28), schien mir, als ob Gott vorübergegangen wäre. Zu- innerst getroffen ging ich zum Priester und fragte, ob das, was hier steht, auch wahr sei? Er sagte: „Ja!“ Meine zweite Frage: „Was muss ich tun?“ Nach längerem Nachdenken antwortete er: „Gib Gott in deinem Leben eine Chance.“ Darum dieses Motto und ich bitte, nehmen wir es an und lassen wir uns davon leiten.
Was müssen wir tun? Die Frage stellt sich für unsere Zeit mit besonderer Dringlichkeit. Die Kirche blickt auf eine lange Weg- strecke zurück. Sie ist reich geworden an Erfahrung und Wis- sen. Dennoch, Menschen fühlen sich von ihr nicht mehr ver- standen; sehen und finden in ihr nicht mehr den Weg, der – wie es Jesus im Johannesevangelium sagt – zu einem Leben in Fülle führt. Mir will scheinen, die Kirche ist für so manche nicht mehr der Ort, wo eine für den Glauben wichtige Grunderfahrung möglich ist: Das Wagnis! Das Leben ist Wagnis, der Glaube ebenso! Es gibt keine Garantie, dass immer auch alles wohlge- fällig ausgehen wird. Wir müssen je neue Wege finden, um Gott und die Menschen heute mit ihren Leiden, Sorgen und Freu- den zu erreichen. Jesus kritisiert die religiöse Führerschaft, weil sie die Zeichen ihrer Zeit mit den spezifischen Anforderun- gen nicht erkannt hat. Ohne das Gesetz grundsätzlich in Frage zu stellen, war er dennoch bereit, um des Menschen willen Grenzen zu überschreiten. Auf dem Weg der Erneuerung soll Zukunftsprojekten ein gebührender Platz eingeräumt werden. Die Menschen im dritten Jahrtausend sehen sich mit Herausfor- derungen konfrontiert, die man zu früheren Zeiten nicht kannte. Das Wort Gottes hat bleibende Bedeutung: „Ich bin mit dir, ich behüte dich, wohin du auch gehst“ (Gen 28,15). Freilich gilt es, diese Zusage Gottes den Menschen neu glaubhaft zu ver- mitteln.
Ich schließe das Hirtenwort mit einem Appell an Eure Herzen: Gehen wir den Weg gemeinsam! In der großen Abschiedsrede betet Jesus um Einheit, damit die Welt glaubt (vgl. Joh 17,21). Auch soll niemand meinen, dass es auf ihn nicht ankommt. Üben wir den offenen und ehrlichen Umgang miteinander. Papst Franziskus hat die Synodenväter eingeladen: „Sprecht mit Freimut und hört mit Demut!“ Das wollen auch wir tun. Es wird gewiss kein leichter Weg. So manches Gepäck wird man auf dieser Reise wohl zurücklassen müssen. Wir brauchen Frei- raum, um neue Akzente zu setzen. Es gilt zu bedenken, die ma- teriellen und finanziellen Ressourcen werden mittelfristig weni- ger werden. Das müssen wir bei all unseren Überlegungen mit einbeziehen. Dennoch, unsere erste Sorge ist und bleibt das Reich Gottes unter den Menschen.
So bitte ich: Geht und denkt mit! Vor allem aber, beten wir für- und miteinander in diesem großen Anliegen unserer Erzdiözese.
Ich grüße Sie alle, liebe Christinnen und Christen, jene, die Ver- antwortung tragen, Priester, Diakone, Ordensleute, die haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden und all jene, die guten Willens sind, den Weg der Erneuerung zu beginnen.
Der Herr segne und behüte Euch.
Der Herr lasse sein Angesicht über Euch leuchten und schenke Euch seinen Frieden.
Ihr
+ Franz Lackner
Auf Wunsch des Herrn Erzbischofs möge der Hirtenbrief am 1. Sonntag der Vierzig Tage, dem 14. Februar 2016, in allen Gottesdiensten verlesen werden.