Europa vor Schicksalsentscheidung
Der griechisch-orthodoxe Metropolit von Österreich, Arsenios (Kardamakis), hat die europäischen Staatenlenker in deutlichen Worten dazu aufgefordert, den wachsenden Nationalismus in Europa zurückzudrängen und die aktuelle Flüchtlingskrise gemeinsam zu lösen. "Es geht darum, Menschen zu retten. Es geht aber längst auch darum, Europa zu retten", betonte der Metropolit am Freitag in einer Stellungnahme gegenüber der Nachrichtenagentur Kathpress. Er habe großes Verständnis für die Suche nach Lösungen, um die Flüchtlingszahlen pro Land zu verringern. Griechenland mit den hohen Flüchtlingszahlen alleine zu lassen, sei jedoch ein "unfairer Akt und keine Lösung", so Arsenios, der auch vor einer schweren humanitäre Krise in seinem Heimatland warnt.
Er betrachte die politische Entwicklung der vergangenen Tage, die zu einer schweren Belastung des Verhältnisses zwischen traditionellen europäischen Partnern geführt habe, mit großer Sorge, betonte der Metropolit. Die Europäische Union und die Nationalstaaten stünden in diesen Tagen vor einer "Schicksalsentscheidung": "Werden Humanität, Solidarität und Wille zur Gemeinschaft die Oberhand behalten - oder lässt man es zu, dass sich die Kräfte des Egoismus und Nationalismus durchsetzen?", fragt Arsenios, der auch Vorsitzender der Orthodoxen Bischofskonferenz in Österreich ist. Die viel beschworenen "europäischen Werte" und "christlichen Wurzeln" des Kontinents müssten sich nun bewähren: "Nirgendwo anders als in der täglichen Praxis muss sich zeigen, ob sie mehr sind als Floskeln für Sonntagsreden."
Der griechisch-orthodoxe Metropolit äußerte sich am Tag nachdem Athen seine Botschafterin aus Wien abgezogen hat. Zuvor hatte sich die österreichische Regierung am Mittwoch in Wien mit den Westbalkan-Staaten auf eine Abriegelung der Balkanroute für Flüchtlinge verständigt. Als einziges Land der Region war Griechenland nicht zur Teilnahme an der Konferenz geladen gewesen.
Die Herausforderung durch die massive Flüchtlingsbewegung nach Europa betreffe alle europäischen Staaten gleichermaßen, hob Arsenios in seiner Stellungnahme hervor. Solidarisches Handeln und eine gemeinsame Bewältigung dieser großen Herausforderung würden "die europäische Gemeinschaft stärken und sie voranbringen". Die Länder müssten sich deshalb gemeinsam um Lösungen bemühen.
In Griechenland wie in Österreich und anderen europäischen Ländern leisteten viele Menschen bis an den Rand ihres Leistungsvermögens einen "selbstlosen Einsatz" für Hilfe suchende Flüchtlinge, der ihm großen Respekt abverlange, betonte der Metropolit. Es gebe in der Flüchtlingsfrage auch eine Überforderung von Staaten. "Aber das gilt eben auch für Griechenland - ein Land, das derzeit eine ökonomische Krise von gewaltigem Ausmaß durchzustehen hat und mit enormer Arbeitslosigkeit und der Verarmung großer Teile der Bevölkerung konfrontiert ist", erinnerte Arsenios.
Dauerhafte Lösungen könnten nur gemeinsam und im Dialog miteinander gefunden werden, appellierte der Metropolit an die Politik. "Ein 'Domino-Effekt', der den Letzten in der Reihe mit seiner Überlastung allein lässt, ist ein unfairer Akt und keine Lösung." Statt einer gesamteuropäischen Lösung lediglich Flüchtlinge an der Weiterreise zu hindern, damit diese in Griechenland bleiben müssten, könne zu "schweren humanitären Krisen führen", warnte Arsenios. "Damit nimmt man eine Entwicklung in Kauf, die die Stabilität des Landes in Frage stellen könnte. Niemandem wäre damit gedient."
Kein Verständnis hat der orthodoxe Metropolit für Forderungen, wonach Griechenland seine Grenze besser sichern müsse. "Es muss doch einleuchten, dass ein Küstenstaat mit vielen Inseln seine Grenzen nicht so sichern kann wie ein Binnenstaat", so Arsenios dazu: "Und noch einmal: Es geht um Menschen, die auf der Flucht sind. Die Freude über jedes einzelne gerettete Menschenleben sollte über allem anderen stehen."
Die europäischen Regierungen dürften sich nicht auseinanderdividieren lassen, sondern sollten umso entschiedener das Gespräch suchen und gemeinsam Lösungen entwickeln, rief der Metropolit auf. Ausdrücklich nimmt er dabei auch jene Länder in die Pflicht, "die in der Krise bisher abseits standen". Letztere müssten kurzfristige Interessen zurückzustellen und sich solidarisch zeigen. Österreichs Politiker wiederum bittet Arsenios, Griechenland mit Verständnis zu begegnen, mit den Griechen zu sprechen und gemeinsam eine Lösung zu suchen, "wie es sich für Partner gehört".
Quelle: kathpress