"Größte humanitäre Katastrophe in Europa"
"In der Ukraine spielt sich die größte humanitäre Katastrophe in Europa seit Ende des zweiten Weltkrieges ab." Das sagt der ukrainische Caritaspräsident Andrij Waskowycz. Er begleitet den österreichischen Caritaspräsidenten Michael Landau auf einem Lokalaugenschein in der Ukraine. Die heimische Caritas bemüht sich gemeinsam mit der Caritas Ukraine das Leid der vom Krieg betroffenen Menschen zu lindern. Landau möchte mit Flüchtlingen zusammentreffen und Hilfsprojekte besuchen.
Seit dem Frühjahr 2014 tobt in der Ostukraine eine blutige Auseinandersetzung. Separatisten gründeten in Teilen der östlichen Bezirke Lugansk und Donezk mit tatkräftiger Unterstützung Russlands zwei "Volksrepubliken". Er folgten dramatische Kämpfe mit der ukrainischen Armee mit bisher mehr als 9.000 Toten. Laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sind bereits 1,7 Millionen Menschen aus den umkämpften Gebieten in andere Landesteile geflohen, mehr als 1,1 Millionen Menschen flohen ins Ausland, der Großteil nach Russland. Insgesamt sind mehr als 5 Millionen Menschen von den Wirren des Krieges betroffen, darunter über 1,7 Millionen Kinder.
Der Krieg im Osten sei eine klare Aggression Russlands, das die Ukraine überfallen hat, unterstreicht Andrij Waskowycz. Eine Minderheit im Land spricht allerdings auch von einem Bürgerkrieg und verneint die direkte russische Intervention.
"Alles nicht wahr", entgegnet die 39-jährige Ärztin Oxana. Sie stammt aus einer ostukrainischen Grenzstadt zu Russland. Mit eigenen Augen habe sie gesehen, dass russische Panzer über die Grenze gekommen seien, erzählt sie Caritaspräsident Landau. Das war im August 2014. Mit ihrem Mann und den beiden Kindern floh sie in die südukrainische Stadt Odessa. Seither versucht die Flüchtlingsfamilie in der Schwarzmeer-Metropole Fuß zu fassen. Auch mit Unterstützung der Caritas.
Der zwölfjähriger Sohn Marat besucht das "Child Friendly Spaces Zentrum" der Caritas in Odessa. 240 Kinder werden hier von Psychologen und Pädagogen betreut. Viele Flüchtlingskinder sind von ihren Kriegserlebnissen traumatisiert. So hätten viele etwa panische Angst vor lauten Geräuschen, berichtet Vasyl Kolodchin, Caritasdirektor von Odessa. Den geschulten Caritas-Mitarbeitern gelingt es jedoch, den Kindern mit viel Geduld, ihre Ängste wieder zu nehmen. Die Kinder können im Zentrum ihre Hausaufgaben machen, es gibt Förder- und Freizeitprogramme und psychologische Therapien.
Insgesamt hat die Caritas Ukraine 10 "Child Friendly Spaces" landesweit Ukraine eingerichtet. Zwei davon, in Kiev und Odessa, werden von der Caritas Österreich unterstützt. Insgesamt konnte so bisher 1.440 Kindern geholfen werden. Dazu sagt Landau: "Es geht darum, Kindern in Not ein chancenreiches Aufwachsen und den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Bereits mit kleinen Beiträgen kann man hier sehr viel bewirken."
Oxana und ihre Familie werden es schaffen, sich eine neue Existenz aufzubauen, zeigt sich Caritasdirektor Kolodchin überzeugt. Doch ein Wermutstropfen bleibt, berichtet die junge Frau: Ihre Mutter habe es nicht geschafft, aus dem Separatistengebiet zu fliehen. Sie wohnt in einem kleinen Dorf nahe an der Front. "Wir telefonieren oft und meine Mutter erzählt, dass jeden Tag gekämpft wird. Sehr viel Zeit muss sie im Keller verbringen. Die Gegend ist auch stark vermint. Das ist dort kein Leben mehr."
Ob sie nicht wieder in ihre Heimat zurückkehren will, fragt Caritaspräsident Landau die Ärztin. "Natürlich", antwortet diese. Aber nur in eine freie und vereinte Ukraine. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. - Und es bleibt noch viel Arbeit für die Caritas.
Quelle: kathpress