"Das Miteinanderreden darf nicht verloren gehen"
Die Rückkehr zu einer Streitkultur in Politik und Gesellschaft, die auch das jeweilige Gegenüber achtet, fordert der steirische Diözesanbischof Wilhelm Krautwaschl. "Das Miteinanderreden darf nicht verloren gehen", betonte Krautwaschl im Interview der "Kleinen Zeitung" am Sonntag. "Wir sind aufgerufen, heute miteinander streiten zu können, morgen aber wieder neu gemeinsam anzufangen."
Er erlebe heute vielfach eine "Hermeneutik des Verdachts" nach dem wechselseitigen Motto "Du willst mir jedenfalls etwas Schlechtes", bedauerte der Bischof. "Am Wahlabend habe ich zehn Minuten der TV-Diskussion gesehen, dann habe ich abgeschaltet: Keiner hat dem anderen zugehört", gab er ein Beispiel. Eine offene Gesellschaft brauche einen anderen Ansatz. "Man müsste sagen: Es ist schön, dass du anders bist. Du kannst mir helfen, meine Sichtweise zu erweitern. Aber das haben wir nicht gelernt."
"Angst ist ein schlechter Ratgeber", antwortete Krautwaschl in dem Interview auf den Hinweis, dass laut Umfragen aktuell mehr als die Hälfte der Österreicher von sich sagen, dass sie Angst haben oder beunruhigt sind. Für den Bischof besteht hier auch ein Zusammenhang zur sinkenden Religiosität im Land. "Ich glaube, dass Gott mit mir geht und mir Halt gibt. Wenn ich das ernst nehme, kann mich nur Extremes umwerfen", sagte Krautwaschl. Aber "was passiert, wenn man nicht mehr gläubig ist. Was tritt an diese Leerstelle?", fragte er.
"Karl Schwarzenberg meinte ja, dass nicht Muslime, die zu uns kommen, das Problem sind, sondern die leeren Kirchenbänke, die ein Vakuum hinterlassen und die Frage aufwerfen: 'Worauf richte ich mein Leben aus, worauf fußt es?', zitierte Krautwaschl den früheren tschechischen Außenminister. Freilich gebe es hier Antworten wie Arbeitsplatz, Wirtschaft, Wohnung, so der Bischof weiter. "Doch die Sinnfrage bleibt. Wir leben in einem von Gott gesegneten Land, doch es ist vielen noch immer zu wenig."
Europa insgesamt befinde sich heute in einer Selbstfindungsphase, meinte Krautwaschl zur aktuellen Flüchtlingsthematik und dem Aufziehen neuen Grenzzäune. "Wir schotten uns ab, haben aber im Einkaufssackerl die ganze Welt drin", wies der Bischof hin. "Die Kirche wolle "das nicht alles madig machen", so Krautwaschl: "Aber wir stellen Fragen, was jenseits dieser Erfahrungswelt liegt: Was machen wir mit Flüchtlingen, die bei uns sind? Was mit jenen, die im Mittelmeer ertrinken? Wie verhindern wir den Krieg?"
Nachholbedarf sieht der Grazer Diözesanbischof auch beim Verhältnis zum Islam. In Österreich gebe es seit 1912 ein Islamgesetz, dennoch kenne man einander nicht wirklich, so der Bischof. "Was man nicht kennt, macht Angst." Interreligiöse Bildung dürfe hierzulande nicht nur auf dem Papier stehen, "sondern muss gelebt werden", forderte Krautwaschl. "Bei unseren Religionslehrern weiß man, wofür sie stehen, bei anderen liegt das nicht offen da. Ich kann Toleranz nur leben, wenn ich weiß, wer ich bin. In der notwendigen Neutralität des Staates wird da manchmal mit falschen Karten gespielt."
Kirche hat "so viele Seelsorger wie noch nie"
"Spannend" findet der Bischof den jüngsten Vorstoß des Papstes, die Weihe von Diakoninnen zu prüfen. Man dürfe aber nicht nur auf die Geweihten schauen, betonte Krautwaschl. Pastoralassistenten oder Pfarrsekretärinnen mitgerechnet, hätte die Kirche noch nie so viel seelsorgliches Personal gehabt wie derzeit: "Trotzdem jammern wir. Die Wahrnehmung, nur die Geweihten hätten das Sagen in der Kirche, stimmt ja nicht."
Um ein lebendiges kirchliches Leben vor Ort langfristig sicherzustellen, ist Krautwaschl für weitere Änderungen in der seelsorglichen Struktur seiner Diözese. Im Kern dieser Thematik stehe die Frage, was die Menschen brauchen, betonte der Bischof. "Wir müssen über die Pfarrverbände hinaus stärker in den Lebensräumen der Menschen denken." So könne es für einzelne Regionen auch mehr als einen Pfarrer geben: "Bis dato hat ein Priester eine Pfarre überblickt, ich würde es gerne drehen und sagen, jeder Priester betreut einen inhaltlichen Bereich in einer Region. Aber mit konkreten Grenzen, damit niemand vergessen wird."
Quelle: kathpress