
Kardinal Schönborn betont: "Amoris laetitia" ist verbindlich
Kardinal Christoph Schönborn ist Behauptungen entgegengetreten, das jüngste Schreiben von Papst Franziskus zu Ehe und Familie habe keinen lehramtlichen Charakter und sei damit weniger verbindlich. Es sei "offensichtlich", dass "Amoris laetitia" ein Akt des kirchlichen Lehramts sei, da es sich um eine "Apostolische Exhortation" handele, sagte er in einem Interview für die neueste Ausgabe der italienischen Jesuiten-Zeitschrift "Civilta Cattolica". Alle früheren lehramtlichen Äußerungen zu Ehe und Familie müssten nun im Licht von "Amoris laetitia" gelesen werden, betonte der Wiener Erzbischof; ebenso wie heute das Erste Vatikanische Konzil (1869-1870) im Licht des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) interpretiert werde.
Der konservative US-amerikanische Kardinal Raymond Burke hatte "Amoris laetitia" einen lehramtlichen Charakter abgesprochen und das Schreiben als persönliche Äußerung von Papst Franziskus eingestuft. Kardinal Schönborn widersprach mit seiner Äußerung auch Kardinälen wie dem früheren Erzbischof von Bologna, Carlo Caffarra, oder dem deutschen Kurienkardinal Walter Brandmüller. Sie hatten gefordert, "Amoris laetitia" müsse in der Perspektive früherer kirchlicher Verlautbarungen interpretiert werden, weil seine Aussagen zu einem etwaigen Kommunionempfang für wiederverheiratete Geschiedene unklar seien. Nach ihrer Lesart ist deshalb eine Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion weiterhin nicht möglich.
Das Anfang April veröffentlichte päpstliche Schreiben zu Ehe und Familie ist nach Schönborns Worten eine "authentische Lektion der heiligen Lehre", das diese für die heutige Zeit aktualisiere. Er sagte weiter, Kardinal Joseph Ratzinger als Präfekt der römischen Glaubenskongregation habe ihm seinerzeit gesagt, man dürfe nicht alle Fälle von wiederverheirateten Geschiedenen nach einer allgemeingültigen Regel behandeln.
Der Papst überwindet nach Aussage Schönborns mit dem Schreiben "Amoris laetitia" eine Schwarzweißmalerei im Umgang mit Ehe und Familie. Franziskus mache darin deutlich, dass es nicht einfach "auf der einen Seite Ehen und Familien gibt, die funktionieren, in denen es gut läuft, während es in anderen nicht gut läuft", sagte der Wiener Erzbischof in dem Interview.
"Das wichtige Faktum dieses Dokuments ist, dass es die Kategorien 'regulär' und 'irregulär' überwindet", so Schönborn. Stattdessen spreche der Papst davon, dass alle Menschen "sich auf dem Weg befinden" und als Sünder der Barmherzigkeit bedürften. Franziskus leugne zwar keineswegs, dass es 'reguläre' und 'irreguläre' Situationen gebe. Er gehe jedoch über diese Perspektive hinaus, um das Evangelium zu verwirklichen.
Kardinal Schönborn betonte zugleich, dass "Amoris laetitia" fest auf dem Boden der kirchlichen Tradition stehe, die Lehre jedoch für heute aktualisiere. Bereits Johannes Paul II. habe mit seiner Theologie des Leibes und seiner Vision von der Familie als Bild der Trinität eine Neuerung in die kirchliche Lehre eingeführt, die bis dahin nur die Seele des Menschen als Ebenbild Gottes gesehen habe, erklärte Schönborn. Mit Papst Franziskus mache das kirchliche Lehramt nun einen "weiteren Schritt", in dem es sich Ehe und Familie nicht mehr "von oben", sondern "von unten" nähere. Es richte nun einen "liebenden Blick auf die Realität, der auch alle Freuden und Leiden des Menschen" umfasse, so der Wiener Erzbischof. Der Papst wolle, dass angesichts der vielen "schwierigen Situationen und verwundeten Familien" in der Seelsorge jeder Fall einzeln betrachtet werde.
Zu einer etwaigen Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion durch "Amoris laetitia" sagte Schönborn, man könnte hier ähnlich verfahren wie im Fall von Angehörigen der orientalischen Kirchen, die dieses Sakrament anstrebten. Auch hier sei der Kommunionempfang in bestimmten Situationen "aus schwerwiegenden geistlichen Bedürfnis nach dem Ewigen Heil" nicht ausgeschlossen, ohne dass "ein gangbarer Weg in der kirchlichen Struktur" geschaffen oder die Eucharistie privatisiert werde. In diesem Sinne könne auch die Aussage in "Amoris laetitia" verstanden werden, dass wiederverheiratete Geschiedene in "gewissen Fällen" auch die Hilfe der Sakramente" erhalten könnten.
Quelle: kathpress