Sozialethikerin: Solidarisches Pensionssystem beibehalten
Ein Umlagen-finanziertes, d.h. auf Solidarität aufgebautes Pensionssystem wie in Österreich weist deutliche Vorteile gegenüber einem wesentlich auch privat bzw. betrieblich, durch Kapitalveranlagung gesicherten System auf. Das hat Lieselotte Wohlgenannt, Expertin der Katholischen Sozialakademie (ksoe), in einem Blogeintrag auf http://blog.ksoe.at unterstrichen. Freilich erforderten "beträchtliche Herausforderungen" wie der anstehende Pensionsantritt der "Babyboom"-Generation oder die steigende Lebenserwartung "laufend kleinere oder auch größere Anpassungen". Jedoch: "Was wir sicher nicht brauchen, ist das, was die großen 'Reformer' wollen: eine zumindest teilweise Verlagerung auf eine Kapitaldeckung."
Welche negativen Folgen dies haben kann, habe sich im Zuge der Finanzkrise gezeigt, wies die Vordenkerin eines von Erwerbsarbeit unabhängigen Grundeinkommens auf die Entwicklung in Deutschland hin: Dort habe die gesetzliche Rente nicht mehr den Anspruch, allein den Lebensstandard im Alter zu sichern. Stattdessen sollen die Arbeitnehmer zusätzlich durch private und betriebliche Altersvorsorge die Lücke schließen; diese privat finanzierten Zusatzversicherungen werden durch staatliche Zulagen und durch Sonderabgabenabzug gefördert.
In Österreich war 2003/04 - wie Wohlgenannt erinnerte - die Verlängerung des Durchrechnungszeitraumes von 15 auf bis zu 40 Jahren ein wesentlicher Reformansatz. Nach Berechnungen der OECD erhalten Durchschnittsverdiener in Österreich eine Pension in Höhe von 78 Prozent des Einkommens; in Deutschland hingegen weniger als 38 Prozent, ergänzt durch private Renteneinkünfte. "Heute sind die mittleren Pensionen in Österreich um einige hundert Euro höher als die Renten in Deutschland, wo die kapitalgedeckten Beiträge auf Grund der Nullzinspolitik starke Einbußen erlitten haben", erläuterte Wohlgenannt. Dies sollte sich mit zu erwartenden Veränderungen des Kapitalmarktes ändern. Sichtbar werde dabei jedenfalls, "dass die Hoffnung auf Sicherheit und Beständigkeit durch den Übergang zu Kapitaldeckungsverfahren Illusion sind".
Gegen Ängsteschüren bei Pensionen
Die langjährige Mitarbeiterin der ksoe wandte sich gegen Medien und Meinungsbildner, die ihre Forderungen nach Pensionsreformen in Österreich mit dem Schüren von Ängsten verbinden: "Unser System sei nicht zukunftsfähig, die Generation der heute 40-Jährigen müssten heute zwar bezahlen, könnten selbst jedoch kaum auf eine entsprechende Alterssicherung hoffen." Dem hielt Wohlgenannt entgegen: Das Umlagen-finanzierte System in Österreich "steht auf einem soliden Fundament". Es sei "besser und sicherer, weiter auf unser solidarisches System zu vertrauen, im Bereich der Pensionen wie auch darüber hinaus des gesamten Sozialversicherungssystems".
Freilich: Wenn die Lebenserwartung steigt, wird es laut der Expertin sinnvoll sein, auch länger zu arbeiten. Braucht es - wie bei der bereits beschlossenen schrittweisen Angleichung des Frauen-Pensionsalters auf jenes der Männer (65 Jahre) - eine weitere gesetzliche Anhebung des Pensionsantrittsalters, "womöglich automatisiert und an das Ansteigen der mittleren Lebenserwartung gekoppelt?", so die Frage Wohlgenannts. Sie plädierte hier für Flexibilität: Es gebe Menschen, die nach Zeiten der Kindererziehung oder spätem Berufseinstieg froh sind, länger arbeiten zu können. Andererseits würden Beschäftigte in belastenden Arbeitsbereichen möglichst rasch in Pension gehen wollen. "Wünschenswert wären flexible Regelungen, die längeres Arbeiten attraktiv machen - und zwar für die Unternehmen wie für die Beschäftigten", riet Wohlgenannt.
Wie viel Flexibilität real möglich ist, hänge - so wie die Finanzierung insgesamt - wesentlich vom Arbeitsmarkt ab. Die Chancen stehen laut Wohlgenannt gut: "Für die kommenden Jahre wird allgemein Wirtschaftswachstum und steigende Beschäftigung vorausgesagt."
Anlässlich des 85. Geburtstages der Soziallehre-Vordenkerin gab die ksoe im Vorjahr Lieselotte Wohlgenannts gemeinsam mit Herwig Büchele SJ verfassten "Buchklassiker" "Grundeinkommen ohne Arbeit" im ÖGB-Verlag neu heraus.
Quelle: kathpress