
Soziologe: Gesellschaftliche Absage an Gewalt löschte Höllenfeuer
Aus für die Hölle: Seitdem in den westlichen Gesellschaften Gewalt geächtet wird, ist auch bei vielen Theologen das Höllenfeuer erloschen. Denn der Erfolg eines dualistischen Konzepts, das von Erlösten und Verdammten ausgeht, sei eng an die Akzeptanz von Gewalt in der Gesellschaft gebunden. Diese Beobachtung hat der deutsche Religionssoziologe Michael N. Ebertz in der aktuellen Spezialausgabe der in Freiburg erscheinenden "Herder Korrespondenz" beschrieben. In seinem Artikel "Chaos im Jenseits" geht er der Entwicklung der Vorstellungen von Himmel, Hölle und Fegefeuer in der Kirchengeschichte nach.
Es sei der Kirchenlehrer Augustinus gewesen, der eine durch Sünde bedingte Höllenfahrt im 5. Jahrhundert theologisch salonfähig gemacht habe. Augustinus habe damit dem sogenannten Inklusionsmodell etwa eines Origenes (gestorben 254 n. Chr.) widersprochen, das von einer Rettung des gesamten Kosmos ausgeht. Eine endgültige Absage wurde dem Konzept Origenes durch das fünfte Ökumenische Konzil von Konstantinopel erteilt. Seither gilt in der kirchlichen Lehre von den "letzten Dingen" ("Eschatologie") die Trias von Himmel-Hölle-Fegefeuer, wie sie auch zuletzt in dem vor 25 Jahren erschienenen Katechismus der Katholischen Kirche festgehalten ist.
Dennoch ortet Ebertz seit den 1950er Jahren bei diesen Themen Bewegung in der "Theologen-Welt":
Seit jener Zeit neigt sich die Waage der kirchlichen Kommunikation über das Jenseits wieder in Richtung der göttlichen Barmherzigkeit - den heißen Höllenbrocken fasst man kaum mehr an.
Wissenssoziologisch gesehen, sei dies gut nachvollziehbar, erläuterte der Religionssoziologe, denn der Erfolg eines dualistischen Kozepts sei mit seiner ihm inhärenten Gewaltmetaphorik eng an die Akzeptanz von Gewalt in der Gesellschaft verbunden gewesen. Dies habe sich mit der zunehmenden gesellschaftlichen Ablehnung von Gewalt geändert. Die überlieferte Vorstellung von Himmel, Hölle und Fegefeuer würde dadurch nicht nur bei ihren Adressaten, sondern auch bei ihren theologischen Repräsentanten "erheblich kognitive Dissonanzen" erzeugen. Infolge dessen seien die bekennenden Anhänger dieser eschatologischen Überlieferung zu einer Minderheit unter den Theologen geworden. Vorstellungen einer Hölle, die in anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen eingebettet waren, seien so bei "Zivilisationsmenschen und- priestern von heute" zum Ausdruck eines längst überwundenen gesellschaftlichen Zivilisationsstadiums geworden.
Aber wohin hat sich die Vorstellung vom Jenseits entwickelt? Heute würden sich Theologen wieder mehr an dem Konzept des Origenes orientieren und dieses in ein "monistisches" Modell umbauen: "Sie gehen von der Hoffnung - nicht aber von dem Wissen - aus, dass alle Geschöpfe, selbst der Teufel, einmal zu den Erlösten zählen werden", erläutert Ebertz. Prominenter Vertreter dieses Modells sei etwa Kardinal Gerhard Ludwig Müller, so Ebertz, der den früheren Leiter der Glaubenskongregation wie folgt zitiert: "Wer, wie viele und ob überhaupt Menschen bis in den Tod einen radikalen Widerstand gegen die Liebe durchgetragen haben, entzieht sich unserem Wissen nicht nur zufällig, sondern prinzipiell. Wir sollen aber hoffen und beten, dass der allgemeine, sich auf jeden Menschen erstreckende Heilswille Gottes bei allen zum Ziel kommt."
Eine Minderheit von Theologen, etwa der bereits verstorbene niederländische Konzilstheologe Edward Schillebeeckx, gingen noch einmal einen anderen Weg: Für ihn werde die von Gewaltmetaphern gereinigte Hölle zu einem Zustand des dauerhaften Sich-Verweigerns des Sünders gegenüber der bedingungslos für ihn entschiedenen Liebe Gottes. Statt von einer ewigen Verdammnis in der Hölle, gehe dieses Modell von der Möglichkeit eines endgültigen Aufhörens oder Erlöschens als immerwährendes, also irreversibles postmortales Scheitern der menschlichen Existenz aus.
Die ehemals enge Verknüpfung der moralischen Biographie des Menschen mit seinem eschatologischen Status scheine heute, so Ebertz, gekappt. Für viele Menschen verliere dieses reduzierte Jenseits allerdings an Attraktivität und Relevanz.
Quelle: kathpress