Missbrauchsprävention: Kirche auf gutem Weg
Die katholische Kirche und ihre einzelnen Institutionen sind im Vergleich zu anderen Einrichtungen bei der Thematisierung und Aufarbeitung von Missbrauch und bei der Sensibilisierung für dieses Themas Vorreiter. Freilich gelte es immer noch mehr zu tun. Dieses Resümee hat die Leiterin der Stabsstelle für Missbrauchs- und Gewaltprävention in der Erzdiözese Wien, Martina Greiner-Lebenbauer, im "Kathpress"-Interview gezogen. Sie äußerte sich anlässlich des "Internationalen Welttags der Kinderrechte" (20. November).
Ein heikler Punkt gerade in der Kirche sei der Umgang mit geistlichem Missbrauch, so Greiner-Lebenbauer: "Wann beginnt eine Manipulation - gerade im Spannungsfeld zwischen der psychosexuellen Entwicklung der Kinder und Jugendliche und der katholischen Morallehre." Weiteren Handlungsbedarf sehe sie im Verursachen von Schuldgefühlen oder Angstmachen durch religiöse Unterweisungen.
2010 trat österreichweit eine einheitliche Rahmenordnung gegen Missbrauch und Gewalt in Kraft, die 2016 überarbeitet wurde. In allen Diözesen gebe es die in der Rahmenordnung von 2010 geforderten Einrichtungen (Ombudsstelle, diözesane Kommission und Stabsstelle Gewaltprävention), so Greiner-Lebenbauer. Die verpflichtenden Schulungen für die Gruppenleiter hätten deutlich zugenommen. In der Umsetzung einzelner Maßnahmen seien noch nicht alle Diözesen gleich weit, die Unterschiede zwischen den Diözesen sollten sich aber in den nächsten Jahren verringern, zeigte sich die Expertin überzeugt.
Momentan gehe es in allen Diözesen darum, die überarbeitete Rahmenordnung von 2016 bekannt zu machen. Die Mitarbeiter müssten u.a. eine Verpflichtungserklärung unterzeichnen, sich an die Rahmenordnung zu halten. Greiner-Lebenbauer: "Viele machen das in großer Selbstverständlichkeit, die Unterschrift bestätigt das. Zugleich ist die Unterschrift ein wichtiges Zeichen für die von Gewalt betroffenen Menschen, dass die Kirche und alle Mitarbeiter verhindern möchten, dass es je wieder zu Gewalttaten kommt, wie es in früheren Jahrzehnten möglich war."
Umgang mit Nähe und Macht
Die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Diözesen funktioniert gut, die Stabsstellen Gewaltprävention würden sich - wie auch die Ombudsstellen und diözesane Kommissionen - regelmäßig mehrmals im Jahr treffen, berichtete Greiner-Lebenbauer. Die Aufgaben der Stabsstellen in allen Diözesen Österreichs sei die Weiterbildung und Sensibilisierung aller haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter: "Es geht um den Umgang mit Nähe und Macht sowie Fachwissen zu allen Formen von Gewalt, auch im Internet. Wir halten Workshops ab und machen Vorträge sowie Informationsveranstaltungen."
Greiner-Lebenbauer: "Übergriffe und Gewalt können überall vorkommen, wo Menschen miteinander arbeiten. Ziel unserer Workshop ist Sicherheit im Umgang mit Nähe und Macht zu vermitteln. 'Gspürig' für Grenzverletzungen zu werden, die ich bei mir selber wahrnehme und die ich beobachte. Es geht darum, für einen grenzachtenden Umgang miteinander zu sensibilisieren."
Es gelte auch genau hinzusehen, "sind die mit den Kinder arbeitenden Personen auch geeignet für die Aufgabe". Es brauche weniger Verbote als vielmehr ein "Hinsehen, Reflektieren und Feedback geben und Tabus ansprechen, aber auch Hilflosigkeit und Überforderung in den Blick nehmen."
In diesem Herbst habe die Stelle in der Erzdiözese Wien eine Arbeitshilfe (Titel: "Mein sicherer Ort") herausgegeben. Damit sollen die Gruppenleiter in ihrer Aufgabe unterstützt werden, "worauf es zu schauen und was es zu besprechen gilt, damit Übergriffe und Gewalt bestmöglichst verhindert werden können", so Greiner-Lebenbauer. Sie wies auch darauf hin, dass die Katholische Jungschar in der Erzdiözese Wien eine Vorreiterin für das Thema Kinderrechte und Schutz vor Gewalt gewesen sei. So gab es schon 2006 in der Erzdiözese Wien Verhaltensrichtlinien für den Schutz vor sexueller Gewalt für die Mitarbeiter.
Was tun bei einem Verdacht?
Wenn ein konkreter Verdacht von Missbrauch besteht, sollte man diesen Verdacht zuerst einmal mit einer kompetenten Person vertraulich bespreche. Das könne jemand aus dem Gruppenleiter-Team, die Präventionsbeauftragte in der Pfarre oder auch jemand aus einer Beratungsstelle sein.
Sollte sich der Verdacht daraufhin verhärten, gelte es eine Dokumentation zu schreiben, Unterstützung von der Stabsstelle Gewaltprävention und der Ombudsstelle zu holen, um alle weiteren Schritte gemeinsam zu besprechen und anzugehen, so Greiner-Lebenbauer: "Wenn der Verdacht sich auf Gewalt in der Familie bezieht, müssen auch die staatlichen Einrichtungen - Amt für Kinder- und Jugendhilfe - informiert werden."
"Gewaltschutz ist kein Selbstläufer"
Ende Oktober fand im Schloss Puchberg/Wels eine von den Stabsstellen Gewaltprävention organisierte Fachtagung mit dem Titel "Kultur des achtsamen Miteinanders - Pastorale Herausforderungen für den Gewaltschutz" statt. Teilnehmer waren die Generalvikare sowie die Leitungen der Ombudsstellen, der diözesanen Kommissionen und die Personalleitungen der Diözesen. Ebenso waren Mitglieder der Stiftung Opferschutz und Präventionsbeauftragte - etwa der Vereinigung der Ordensschulen - anwesend.
Eröffnet wurde die Tagung vom Linzer Bischof Manfred Scheuer. Bischof Stephan Ackermann, Missbrauchsbeauftragter in der Deutschen Bischofskonferenz, wies in seinen Ausführungen darauf hin, dass Gewaltschutz eine Leitungsaufgabe sei und einen steten Prozess der Sensibilisierung aller Mitarbeiter erfordert, der immer opferorientert ausgerichtet sein müsse. "Gewaltschutz ist kein Selbstläufer", so Ackermann wörtlich.
Der Jesuit Hans Zollner, Mitglied der Kinderschutzkommission im Vatikan, vertiefte das Thema Macht und Machtmissbrauch weiter, auch im Blick auf die weltweite Kirche. Er stellte fest, dass es weltweit noch keine theologische Auseinandersetzung mit den Gewalttaten durch Priester und Ordensangehörigen gegeben hat: "Warum stellt Gott uns in diese Situation? Was will er uns damit sagen?"
Quelle: Kathpress