"20 Jahre Kardinal": ORF widmete Schönborn stimmiges Porträt
Vor 20 Jahren - am 21. Februar 1998 - wurde der Wiener Erzbischof Christoph Schönborn zum Kardinal erhoben. Der als "moderat konservativ" geltende Ordensmann habe sich in den Turbulenzen um die Missbrauchsvorwürfe seines Vorgängers Hans Hermann Groer als kirchlicher "Krisenmanager" erwiesen, blickte der ORF am Dienstagabend auf diese zwei Jahrzehnte zurück. "Er überraschte mit reformorientierten Entscheidungen, kompromissloser Aufklärung der kirchlichen Missbrauchsskandale und seinem Zugehen auf Randgruppen", hieß es in einem Porträt Peter Beringers im Religionsmagazin "kreuz und quer" am Dienstagabend in ORF 2. Er sei zu einer "fast allseits anerkannten Autorität" an der Spitze der Kirche in Wien und in Österreich geworden.
Zu einzelnen Stationen und auch Irritationen in seiner Zeit als Wiener Erzbischof und Kardinal kam in der Sendung der Schriftsteller Peter Turrini zu Wort, den seit gemeinsamen Aufenthalten im Dominikanerkloster in Retz eine lange und kritische Freundschaft mit Schönborn verbindet. Stellung nahmen auch die Theologen Regina Polak, Paul Zulehner und P. Karl Wallner, Ex-Generalvikar und Pfarrer-Initiative-Mitgründer Helmut Schüller, "Wir sind Kirche"-Vorsitzende Martha Heizer, Otto Neubauer von der Akademie für Dialog und Evangelisation und der Journalist Heiner Boberski.
Turrini erinnerte an die Zeit, als er in Retz das Stück "Tod und Teufel" schrieb und der damalige Theologieprofessor Schönborn ihn gegen Blasphemievorwürfe verteidigt habe. Trotz aller Distanz eines deklarierten Atheisten habe Turrini den "schönen, reinen, kindlichen" Glauben Schönborns "bewundert", wie er sagte, "ich war nicht fähig dazu". Geäußert habe sich dessen Glaube jenseits aller Bekenntnisroutine in jubelnder Freude über die österliche Auferstehung Christi. Einen "aushaltbaren und austragbaren" Konflikt zwischen beiden habe es später nach dem Erscheinen eines Jesus-Buches des Karikaturisten Gerhard Haderer gegeben, wie der Autor weiter berichtete. Schönborns Vorbehalte gegen ein satirisch beanspruchtes "Everything Goes" habe zur Drohung geführt, dass Haderer-Bücher in katholischen Schulen nicht mehr aufgelegt werden dürfen - "da wurde plötzlich aus der Meinung Macht", kritisierte Turrini.
Lob zollte der Dramatiker dem Kardinal dagegen für dessen klare, "vorbildliche" Haltung in der Flüchtlingsfrage. Bei den "Votivkirchenflüchtlingen" im Jahr 2012 oder den 71 toten Flüchtlingen auf der A4 im Sommer 2015 sei der Kardinal dem Thema nicht ausgewichen und habe christlich überzeugend "die Menschen nicht unterschieden in In- und Ausländer, sondern nach Not oder Nicht-Not", sagte Turrini.
Achtung vor Würde von "Randgruppen"
Mehrfach war in dem ORF-Porträt die Rede auch von Gruppen wie Homosexuellen, Aids-Opfern oder wiederverheiratet Geschiedenen, denen der Wiener Erzbischof - so die Wiener Pastoraltheologin Polak - stets mit Respekt vor der Würde jedes einzelnen begegne. Schönborn denke gemäß dem Prinzip der "Hierarchie der Wahrheiten" - zentrale Glaubensrichtlinien haben eine höhere Verbindlichkeit als nicht so zentrale, und im Zweifel und nach sorgfältiger Prüfung habe die Menschenwürde der Betroffenen Vorrang.
Zum Fall eines niederösterreichischen Pfarrgemeinderates in einer homosexuellen Beziehung kam der Kardinal selbst zu Wort: Seine programmatisch missdeutete "Entscheidung" habe nur darin bestanden, dass er die Wahl des Betreffenden "nicht kassiert" habe - nicht etwa, dass er eine neue Haltung der Kirche zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften vorgeben wollte. "Die Grundprinzipien werden dadurch nicht in Frage gestellt", so Schönborn, "aber das Leben besteht aus konkreten Menschen, und in diesem ganz konkreten Fall musste ich sagen, es wäre nicht richtig gewesen, den einfach abzusetzen - und dazu stehe ich nach wie vor".
Ein Filmausschnitt zeigte Schönborn als Prediger bei einem Gedenkgottesdienst für Aids-Opfer im vergangenen Dezember: Gott sei nicht gekommen zu richten, sondern zu retten, betonte der Kardinal damals. Dies müsse auch für Christen heißen "nicht zu urteilen, nicht auszugrenzen, nicht andere auszurichten".
Der Wiener Erzbischof lasse sich auf Menschen ein und sei in seiner Amtszeit in einer "menschenfreundlichen Pastoral" angekommen, äußerte Theologin Polak ihre Wertschätzung:
Das macht ihn nicht zu einem liberal-progressiven Theologen oder Bischof, aber was er gelernt hat - und das macht für mich eigentlich die Fähigkeit eines Bischofs aus - ist, dass er die unterschiedlichen Positionen hört, wahrnimmt und bedenkt.
Jemand, der als früherer Theologieprofessor in Fribourg (Schweiz) gewohnt war, vor einem akademischen Auditorium dogmatische Vorträge zu halten, sei in der sehr heterogenen Diözese Wien gelandet, mit ihren großen Divergenzen zwischen Großstadt und ihrem ländlichen Umfeld - "und er lässt sich darauf ein".
Kirchenreformen müssen in die Tiefe gehen
Erwähnt wurde in der ORF-Sendung eine "kreuz & quer"-Umfrage unter katholischen Priestern, derzufolge sich 80 Prozent für die Aufgabe der Zölibatsverpflichtung aussprachen und die Hälfte für die Weihe auch von Priesterinnen. Dem und anderen "heißen Eisen" der Kirchenreformdebatte wurde Schönborns Überzeugung gegenübergestellt: Neurorientierung im Sinn der Progressiven sei keine Lösung - der Glaube selbst habe es heute schwer. Die "Kirchenvolksbegehrer" haben - wie Schönborn bemängelte - den Traum, dass die geforderten Reformen die Blütezeit des Katholizismus wieder herstellen würde. Doch "die ist vorbei", wies der Kardinal hin.
Zu Szenen bei den kleinen Schwestern vom Lamm, bei denen Schönborn, wenn er in Rom ist, stets ein bescheidenes Quartier bezieht, äußerte sich der Erzbischof optimistisch, dass trotz der Rede vom steten Niedergang des Christentums sich immer wieder kirchliche Neuaufbrüche zeigten. "Wir sind eine kleine Schar, aber wir brauchen keine verschreckte Schar zu sein", so eine weitere Äußerung Schönborns bei einer Pfarrvisitation in Wien.
Das Christentum sei keine "Sammlung von Moralregeln" - wie es oft missverstanden und "leider auch von uns so praktiziert" werde, erklärte Schönborn im ORF-Interview. Es sei vielmehr "eine lebendige Beziehung, eine Freundschaft mit Christus". Wo es das nicht sei, "wird es uninteressant".
Quelle: kathpress