"Feierliche Erklärung" durch Vatikanarchiv zu 1938 in neuem Licht
Die vom 2013 zurückgetretenen Papst Benedikt XVI. verfügte Öffnung der Vatikan- Archivbestände zum Pontifikat Pius XI. (1922-1939) lässt einiges über den "Anschluss" 1938 in neuem Licht erscheinen. Zwar hätten schon die Arbeiten der Professoren Erika Weinzierl, Ernst Hanisch und Maximilian Liebmann die Reaktionen der katholischen Kirche "akribisch rekonstruiert", dennoch seien die neuen Quellen für Überraschungen gut: Das schreibt der Wiener Kirchenhistoriker Rupert Klieber in einem Beitrag für die "Presse"-Beilage "Spectrum" (Oster-Ausgabe).
Pionierarbeit für die Sichtung der Österreich-Bezüge der Vatikan-Archivbestände 1922-39 habe der Mailänder Historiker Paolo Valvo geleistet ("Il Vaticano e l'Anschluss"). Ein an der Universität Wien und am Österreichischen Historischen Institut in Rom angesiedeltes Forschungsprojekt habe seither einige Fachkollegen und Dissertanten darauf ansetzen können. Seinen Ertrag sollen in näherer Zukunft eine Monographie sowie die Edition zentraler Quellen zu sichern suchen.
Ein Gutteil des Konvoluts zu Österreich beziehe sich naturgemäß auf das Verhalten der Kirchenleitung, speziell des Erzbischofs von Wien, Kardinal Theodor Innitzer. Kirchliche "Brückenbauer" hätten 1938 in Österreich, unter Einbeziehung Innitzers und angetrieben von Karrierismus, Fehlurteilen oder pastoralem Idealismus, einen "historischen Kompromiss zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus" zu erreichen versucht, so Klieber.
Wörtlich schreibt er: "Brückenbauer gingen in der Wollzeile ein und aus und fanden dort offene Ohren. Aus den Berichten deutscher Bischöfe sowie der Nuntien Gaetano Cicognani (in Wien 1936 bis 1938) und Cesare Orsenigo (in Berlin 1930 bis 1950) vom März/April 1938 spricht das blanke Entsetzen über den Kotau Innitzers vor den neuen Machthabern. Man attestierte ihm guten Willen, beklagte aber sein fatales Sendungsbewusstsein, von Wien aus ganz Deutschland weltanschaulich befrieden zu können. In einem Telefonat schon am Abend des 12. März mahnte Cicognani vergeblich zu größter Vorsicht und erachtet eine geplante Stellungnahme als voreilig und nicht opportun."
Innitzer hingegen habe den Gehorsam gegenüber den neuen Autoritäten gefordert, Gott für den unblutigen Verlauf des Wechsels gedankt, und "er wollte für eine glückliche Zukunft der Nation beten", was das Missfallen des Nuntius erregt habe, so Klieber. Ebenfalls habe einige Tage später auch ein Resümee zum Treffen Innitzers mit Hitler am 15. März ("Seelsorger und Gläubige stellen sich restlos hinter den großen deutschen Staat und seinen Führer") Negativreaktionen Cicognanis ausgelöst.
Dieses Resümme habe der Priester Johann Jauner-Schrofenegg, der Vertrauter auch des deutschen Botschafters Franz von Papen gewesen sei, verfasst. Das in einer Klerus-Versammlung präsentierte Papier sei nach Amsterdam telegraphiert worden und habe so den Weg in die Weltpresse gefunden.
"Irrationaler Optimismus" Innitzers
Das Vatikanarchiv rücke auch die bisherigen Thesen zur Genese der berüchtigten Feierlichen Erklärung der Bischöfe vom 18. März zurecht. Prof. Klieber dazu: "Die bisherige Analyse neigte dazu, sie allein der Überrumpelung durch Gauleiter Josef Bürckel zuzuschreiben, der sich im Umgang mit Kirchenmännern schon im Saarland geübt hatte. Ein Memoriale des Nuntius unterstellt Innitzer jedoch eine Mitwirkung. Er habe das Treffen durch die Einladung per Telegramm quasi behördlich angezeigt und am Vortag den Text-Entwurf von Bürckel übernommen. Nach Einsetzen der NS-Propagandaschlacht sorgte erst der Nuntius mittels geistlicher Boten dafür, dass alle Ordinarien die strikte päpstliche Weisung erreichte, den Text wenigstens in den Kirchen mit dem Zusatz 'unter Wahrung der Rechte Gottes und der Kirche' zu versehen. Mehrere Oberhirten rückten nun von der Erklärung ab."
So habe der Linzer Bischof Johannes Gföllner in seiner Distanzierung von Innitzer sogar auf Absetzung des Kardinals durch den Vatikan gehofft. "Er ließ Staatssekretär Eugenio Pacelli (ab 1939 Pius XII.) wissen, dass er den Rücktritt Innitzers für nötig erachte. Der nach Rom übermittelte Bericht Cicognanis zeichnete ein düsteres Bild der Lage: 'Echter Wahnsinn (vera pazzia), zudem Angst und Depression ...', und er beklagte die 'nazistischen Gefühle der Priester und Religiosen'."
Um Innitzer in den Zug nach Rom zu setzen, hätten "beide damals in Wien befindlichen Nuntien alle kirchlichen Register ziehen". Es habe gegolten, "ihn den Lockungen und Drohungen der NS-Kontaktleute zu entziehen".
Zum Papst sei der Kardinal erst zugelassen worden, "nachdem er eine Presse-Erklärung autorisierte, die jene der Bischöfe maßgeblich entschärfte". Eine eineinhalbstündige Unterredung sei stürmisch verlaufen; "Innitzer verließ sie tief deprimiert, weil er seine Mission nun gefährdet sah". Pius XI. sei entschlossen gewesen, einen Rücktritt anzunehmen, den der Kardinal allerdings nicht angeboten habe: "Laut Notizen des Sekretärs war Pius XI. für die Zukunft pessimistisch. Sie läge zwar à la longue in Gottes Hand, zur Zeit aber in der von Banditen."
Das Treffen sei wohl ein "Schlag ins Wasser" gewesen, so die im Vatikan aufbewahrte Sekretärs-Erinnerung. Innitzer sei "von einem irrationalen Optimismus beseelt (di un ottimismo inconsapevole)" gewesen, als lebe er "hinterm Mond". Er komme einem wie "eine Taube in den Krallen des Falken" vor.
Wieder in Wien, habe der Kardinal "trotz wachsender Ernüchterung an seiner Mission festgehalten" und weiter um den Kompromiss gerungen: "Der Berliner Bischof Konrad Preysing beklagte gegenüber Rom den drohenden 'Ausverkauf der katholischen Positionen in Österreich'; ebenso, dass man dort 'keines Rates und keiner Unterstützung seitens des deutschen Episkopates zu bedürfen meint'", so Klieber.
Schwenk im September 1938
Etwa im September 1938 sei der Schwenk erfolgt. Die Vatikan-Archivbestände zeigten, dass zu diesem Zeitpunkt selbst die Wiener Kurie den Glauben an die Vertragslösung verloren habe. Jetzt sei man auf "Halten und Nutzen verbliebener Freiräume" umgeschwenkt.
Neuland-Priester hätten dafür eine Strategie entwickelt, schreibt Rupert Klieber. Die Jugendfeierstunde im Stephansdom am 7. Oktober 1938 sei "erstes Meisterstück" des neuen Konzepts gewesen: "In religiöse Diktion verpackte Systemkritik, die Regimeleute zur Weißglut trieb. Abschriften der Feiertexte dokumentieren ein emotionales, interaktives Programm, das vordergründig nur durch die Geschichte des Rosenkranzes wanderte, dabei aber ständig auf die Gegenwart zielte."
Dazu gehörten verlesene Texte über "die gefährliche Irrlehre der Albigenser", dann über den "Kampf gegen den Halbmond" in der Seeschlacht von Lepanto, die mit dem Siegesruf "Es lebe Christus" geendet habe.
Schließlich habe man aus einer Enzyklika Papst Leos XIII. zitiert. Dort heiße es: "Das ist das Traurigste und Bitterste, dass heute so viele Seelen, die der Herr mit Seinem Blut erkauft hat, vom Irrtum unserer Tage angesteckt dahinleben."
Quelle: Kathpress