Kreuz mit dem Kreuz
Die bayrische Kreuzdebatte ist in Österreich angekommen
Kreuz mit dem Kreuz
Die bayrische Kreuzdebatte ist in Österreich angekommen
Ist das Kreuz ein "sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung in Bayern und Deutschland". So jedenfalls steht es im Kabinettsbeschluss, der die Anbringung der Kreuze regelt und mit 1. Juni in Kraft treten soll. Oder ist das Kreuz doch eher oder gar ausschließlich ein religiöses Symbol und allenfalls religiöser Eck- und Stolperstein in einer säkularen Gesellschaft? Die Debatte über diese Frage schlägt seit Wochen hohe Wellen - unter Theologen wie unter Journalisten. Und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich. Diesseits wie jenseits der Grenze überwiegen die kritischen Stimmen, doch es mehren sich auch jene, die das Vorhaben des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) begrüßen.
So hat sich u.a. der Apostolische Nuntius in Österreich, Erzbischof Peter Stephan Zurbriggen in einem vom Stift Heiligenkreuz verbreiteten Video "traurig und beschämt" gezeigt, dass ausgerechnet Bischöfe und Priester das bayrische Vorhaben kritisierten. Dies sei eine "Schande", so Zurbriggen in dem Video von einer Veranstaltung in der Philosophisch-Theologischen Hochschule des Stiftes. Er habe auch kein Verständnis für das Abhängen von Kreuzen etwa an Hochschulen, wie zuletzt an der Universität Wien geschehen. Diese Form religiöser Korrektheit gehe ihm "langsam auf die Nerven", so Zurbriggen.
In einer ausführlicheren Wortmeldung verteidigt auch der Wiener Bibelwissenschaftler Ludger Schwienhorst-Schönberger das Vorhaben, das "keineswegs so abwegig" sei, "wie von manchen Eiferern behauptet wird", wie der Theologe in einem Gastbeitrag für die deutsche Sektion des amerikanischen katholischen Nachrichten-Dienstes "Catholic News Agency" (CNA) schreibt. Historisch unternimmt der Theologe dabei einen weiten Brückenschlag in die Zeit der sogenannten "Konstantinischen Wende", als das Christentum unter dem römischen Kaiser Konstantin (270-337) zunächst mit dem "Toleranzedikt" aus der früheren Verfolgungssituation befreit und schließlich 380 zur Staatsreligion erhoben wurde. Dies sei u.a. der Tatsache verdankt gewesen, dass das Christentum sich bereits seit frühester Zeit als prägende Kraft bewährt habe und einen "Beitrag zur normativen Grundlegung eines Staates" leistete.
Entsprechend schlägt Schwienhorst-Schönberger die Brücke zurück in die Gegenwart:
Wenn sich nun ein Staat dazu bekennt, seine normativen Grundlagen vom christlichen Glauben her prägen und diese Bereitschaft auch öffentlich symbolisch sichtbar werden zu lassen, dann ist dagegen weder aus christlicher noch aus staatspolitischer Sicht grundsätzlich etwas einzuwenden.
Mehr noch hätten sich doch betont laizistische Staatskonzepte wie etwa jenes in Frankreich nicht nur als "krisenanfällig", sondern insgesamt als "Sonderweg" erwiesen, der inzwischen "an Grenzen stößt".
Ein Gegenbeispiel sei da etwa der Staat Israel, der als betont religiöser Staat sich zugleich durch ein Höchstmaß an religiöser Toleranz anderen gegenüber auszeichne.
Ein Staat, der sich in besonderer Weise dem normativen Gehalt einer Religion verpflichtet weiß und sich dazu auch in symbolischer Weise öffentlich bekennt, wie etwa der Staat Israel in seiner Staatsflagge mit dem Davidstern oder in öffentlichen Gebäuden mit dem Anbringen der Mesusa, muss also keineswegs notwendigerweise zu religiöser Intoleranz führen.
Im Gegenteil könne dies gar positiv den Wettbewerb der Religionen im Sinne eines "Beitrags zur Humanisierung der Gesellschaft" fördern, zeigt sich Schwienhorst-Schönberger überzeugt.
Eine Ansammlung laizistischer Einzelstaaten nach westlich-säkularistischem Kanon scheint mir kein reizvoller Ausblick auf die Zukunft zu sein.
Historische und philosophische Gründe
Ähnlich das Votum des Theologen und Leiters des charismatischen Augsburger Gebetshauses, Johannes Hartl: Auch ihn irritiere es zutiefst, dass gerade von Kirchenvertretern Kritik an dem Vorschlag Söders kommt, Kreuze in öffentlichen Gebäuden aufzuhängen. Dies mache nämlich "aus zwei Gründen Sinn. Der erste ist ein historischer, der zweite ein philosophischer", so Hartl auf seinem Blog "johanneshartl.org". So müsse man historisch nämlich den Blick insofern zurechtrücken, dass nicht die Tatsache von Kreuzen im öffentlichen Raum irritieren sollten, sondern genau umgekehrt: die Tatsache, dass sie abgehängt werden:
Ob auf Berggipfeln, an Feldwegen, auf Gebäuden: in Europa prägt das Kreuz seit vielen Jahrhunderten das öffentliche Erscheinungsbild.
Weshalb es nun Aufgabe der Politik sein solle, "eine religiös ungeprägte Öffentlichkeit zu inszenieren", erschließe sich ihm nicht, so Hartl.
Auch gehe es bei der öffentlichen Anbringung von Kreuzen ja nicht um religiöse Indoktrinierung, sondern darum, ein Symbol radikaler Liebe, Gewaltlosigkeit und Feindesliebe ins Bewusstsein zu heben. Insofern trage das Kreuz gewissermaßen zur "Bewusstseinsbildung" bei, "dass der moderne Staat und seine Religions- und Meinungsfreiheit nicht im luftleeren Raum entstanden ist, sondern auf tiefe Weise auf die Feindesliebe dessen fußt, der da am Kreuz hängt." Diese theologische Kraft hätten u.a. der Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde aber auch der Philosoph Jürgen Habermas eingesehen, die erkannt hätten, dass ein freiheitlicher Rechtsstaat nicht ohne normative - religiöse - Grundierungen auskomme. Insofern sei es auch "kein Zufall, dass die Demokratie sich in christlichen Ländern durchsetzte und dauerhaft halten konnte", so Hartl.
Kritischer fällt indes die Einschätzung des Innsbrucker Pastoraltheologen Christian Bauer aus. In einem kurzen Kommentar auf "feinschwarz.net" erinnert Bauer an einen Hirtenbrief aus dem Jahr 1948 des aus Unterfranken stammenden späteren Münchener Erzbischofs und Konzilsmoderators Kardinal Julius Döpfner (1913-1976). Darin hatte Döpfner deutliche Kritik an einem Staatswesen geäußert, welches sich das Kreuz an die Brust heftet und zugleich politisch etwa bei der Frage des Umgangs mit den damaligen Flüchtlingen nach dem Zweiten Weltkrieg Härte zeigt:
Um des Gekreuzigten willen beschwöre ich Euch: Lasst den Herrn in den notleidenden [Schwestern und] Brüdern nicht vergeblich rufen. Sonst entfernt das Kreuz von allen Wänden, holt es von allen Türmen; denn es ruft das Gericht über ein Land, das sich christlich nennt und das Gesetz der Selbstsucht und des Hasses erfüllt.
Hoffnungszeichen für Schwache
Auch die Wiener Theologin Irene Klissenbauer lehnt in einem Beitrag für den Blog der Forschungsplattform "Religion and Transformation in Contemporary Society" (rat-blog.at) die verpflichtende Anbringung von Kreuzen in öffentlichen Gebäuden vehement ab: Dem Kreuz komme als "bleibender Anstoß und Stachel im Fleisch der Mächtigen" zwar Bedeutung zu, "logische Folge" sei allerdings nicht, es wieder in Behörden anzubringen und damit die Trennung von Staat und Religion zu "verwässern", sondern sich vom Christentum anfragen zu lassen, "ob denn Humanität, Toleranz und Nächstenliebe eingehalten werden".
Die Argumentation der bayrischen Landesregierung, das Kreuz sei Zeichen für ein sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung, gehe an der eigentlichen Bedeutung des Symbols vorbei, das vielmehr ein "Hoffnungszeichen für die Schwachen und Entrechteten ist, nicht aber bayrisches Identitätszeichen" sei, so die Einschätzung Klissenbauers. Angesichts von Radikalisierung und gesellschaftlicher Spaltung gelte es, nicht nur die eigene partikulare Identität, sondern auch jene "universal gültigen" Werte, die etwa in den Menschenrechten zum Ausdruck kommen, in Erinnerung zu rufen. "Den Menschen als Person und alle Personen als gleichwertig anzusehen und zu behandeln, ist Aufgabe auch der staatlichen Behörden," so die Theologin wörtlich.
Kritik äußern auch Journalisten in österreichischen Medien: Söder wolle offenkundig ein repolitisiertes Christentum gegen den politischen Islam in Stellung bringen - "also ein neues Unheil gegen ein altes", schreibt etwa Martin Staudinger im "Profil" (28. April). Es sei zwar unabstreitbar, dass das Christentum entscheidend die Entwicklung Europas geprägt habe:
Das moderne Europa wäre ohne das Christentum und dessen Einfluss nicht entstanden; um entstehen zu können, musste dieses moderne Europa den Einfluss des Christentums aber auch überwinden", so Staudinger. Ohne Aufklärung und Säkularisierung würden Europas Staaten heute weiter "unter der Dominanz der Religion leiden.
Statt dem Rest der Welt die eigene Religiosität als "angebliche kulturelle Prägung" aufzudrängen, solle Söder eine "echte bayerische und europäische Identität definieren" und dabei nicht nur rechtgläubige Christen berücksichtigen, so der Vorschlag des Kolumnisten.
Hätte die Aufklärung ein Symbol, dann müsste dieses neben jedem bayerischen Dienstkruzifiz an die Wand gehängt werden - und die allgemeine Erklärung der Menschenrechte sowie die europäische Grundrechte-Charta gleich dazu.
Bayrischer Anachronismus
Als "Zeichen der Ohnmacht", als "Schuss, der nach hinten los gegangen ist" (angesichts der Kritik aus Kirchenreihen) sowie als Anachronismus deutet indes Otto Friedrich in der "Furche" (3. Mai) den bayrischen Kreuzerlass. Schließlich sei die Zeit des christlichen Triumphalismus endgültig vorbei, das Christentum habe sich aus der Identifikation mit politischer Macht gelöst und das Kreuz werde heute von Theologie und Kirche als "Zeichen der Ohnmacht in Solidarität mit den Ohnmächtigen aller Zeiten" verstanden.
Söder kämpfe ein "Rückzugsgefecht" und versuche, mit Kreuzes-Aufhängungen bereits geschehene Abbrüche rückgängig machen, so Friedrichs Urteil. Europas religiöses Problem bestehe nämlich "bestenfalls in zweiter Linie" im Erstarken des Islams: Die eigentliche Herausforderung sei, dass das Christentum rasant an Plausibilität verloren habe. Dies sei eine "Wunde, die der Gesellschaft insgesamt sicher nicht gut tut".
Zuletzt: Laut einer Umfrage begrüßt eine Mehrheit der bayerischen Wahlberechtigten den Beschluss. 56 Prozent stimmten der Ministerrats-Entscheidung zu, 38 Prozent lehnten sie ab, so das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap im Auftrag des Politikmagazins "Kontrovers" des Bayerischen Rundfunks BR.