Syrien im Mai 2018
Leben wider die Hoffnungslosigkeit
Syrien im Mai 2018
Leben wider die Hoffnungslosigkeit
Der Linzer Generaldechant und Obmann der "Initiative Christlicher Orient" (ICO), Slawomir Dadas, hat vor kurzem gemeinsam mit dem melkitischen Priester Hanna Ghoneim Syrien besucht. Das Ziel der Reise: Informationen über die aktuelle Situation aus erster Hand sowie mögliche neue Hilfsprojekte ins Auge fassen.
Sowohl die ICO als auch die von Hanna Ghoneim gleitete "Korbgemeinschaft" sind bereits in Syrien aktiv. Georg Pulling hat die beiden Geistlichen begleitet und für "katholisch.at" einige Blitzlichter dieser Reise zusammengefasst:
Damaskus
Über Damaskus fliegen russische Kampfjets. Sie bombardieren nur wenige Kilometer entfernt letzte Rückzugsgebiete der sogenannten „Rebellen“. Wir hören deutlich das Einschlagen der Bomben. Mit Damaskus selbst hat das scheinbar nichts zu tun. Die Stadt erwacht zum Leben wie jede orientalische Stadt: Der Morgenverkehr ist chaotisch und laut, die Menschen eilen geschäftig durch die Straßen. Der Lärm der Autos und das ständige Gehupe übertönen fast das tiefe Grollen der Jets und Bomben.
Wir schlendern durch den Souk und die vielen engen Gassen der Altstadt. Das Leben pulsiert und ohne das ständige Dröhnen am Himmel käme man wohl nicht auf die Idee, dass rundherum noch Krieg herrscht. Trotz des geschäftigen Treibens in den Straßen bleibt uns nicht verborgen, dass viele Geschäfte geschlossen sind. Eine Folge der kriegsbedingten Wirtschaftskrise. Im Kloster der Franziskaner erzählt uns P. Bahschat, dass die Kirche im Laufe des Krieges sechs Mal von Mörsergranaten getroffen wurde. Und zwar "gezielt" beschossen von den Rebellen. Auf diese Feststellung legt der Mönch Wert.
Alle Kirchenvertreter, die wir an diesem Tag treffen, berichten ähnliches. Jede Kirche in der Altstadt hat Treffer abbekommen. Am Bischofssitz der Maroniten schlug eine Granate sogar direkt im Schlafzimmer von Erzbischof Amir Nassar ein. Ein großes Glück, dass sich der Bischof gerade in einem anderen Raum aufgehalten hatte. Die syrisch-katholische Kirche in Damaskus wurde im Laufe des Krieges nur ein Mal von einer Mörsergranate getroffen, die Schule dafür gleich zwölf Mal. Mit verheerende Folgen, vielen toten und schwerst verletzten Kindern.
Als wir den Hof der syrisch-katholischen Kirche verlassen, kommt uns auf der Straße eine Schar junger Mädchen entgegen, laut plaudernd und lachend. Ein Mädchen geht mit Krücken. Die junge Frau hat nur ein Bein. - Eines von viel zu vielen Opfern in diesem grausamen Krieg.
Im melkitischen Patriarchat treffen wir auf Bischof Niokolas Antiba. Als Patriarchalvikar ist er der Stellvertreter von Patriarch Youssef Absi und zugleich ist er auch Bischof von Damaskus und Umgebung. Er spricht sehr offen mit uns über die politische Situation und sagt: "Wir haben sicher nicht die beste Regierung der Welt, aber sie schützt die Christen." Und diese würden das auch honorieren. "Wir lieben dieses Land. Es ist unser Land", betont der Bischof.
Der Geistliche berichtet von den letzten Monaten, als immer wieder auch Granaten auf die Altstadt von Damaskus fielen, gezielt auf christliche Einrichtungen. Wenn der Westen mit seiner Politik so weitermacht wie bisher, würde er die christliche Zivilisation im Land völlig zerstören. "Keine Geld und keine Waffen mehr an die Rebellen", so die Forderung des Bischofs.
Homs
Das Zentrum von Homs ist zum Teil immer noch ein einziger Trümmerhaufen. Wir haben die Gelegenheit zu einem langen Gespräch mit Bischof Jean Abdo Arbach. Im Prinzip lässt sich seine Botschaft auf folgenden Satz zusammenfassen: "Helft uns, damit wir in unserer Heimat bleiben können."
Noch gibt es in und rund um Homs 70.000 Christen, erzählt der Bischof: Griechisch-orthodoxe, Melkiten, Syrisch-orthodoxe, Syrisch-katholische, Maroniten, Römisch-katholische und Evangelische. Gott sei Dank gibt es in Homs auch Stadtteile, die von den Kämpfen weit weniger stark betroffen waren. Hier pulsiert wieder das Leben.
Im Zentrum von Homs liegt das Kloster der Jesuiten, das wir als nächstes besuchen. P. Magdi führt uns durch die Anlage, in der buntes Treiben herrscht. Rund 30 Jugendliche aus Homs absolvieren gerade einen Kurs, wie sie Kriegstraumatisierten helfen können. In einem anderen Raum treffen sich Kriegsversehrte und deren Angehörige zu Workshops und Beratungsgesprächen. Das Angebot wird von Christen und Muslimen genützt.
Zum Kloster gehört eigentlich auch eine Schule. Genau genommen sind es sogar zwei. Nur sind die Räumlichkeiten völlig zerstört. An eine Wiederaufnahme des Schulbetriebs ist derzeit nicht zu denken. P. Andrew, ein gebürtiger Pole, führt uns durch die Ruinen. Auf einer stehen gebliebenen Schultafel ist auf Arabisch notiert: "Montag, 3. Jänner 2012". Das war der letzte Schultag im Jesuitenkloster. Die Jesuiten haben die Tafel bis heute so belassen.
Schüsse ertönen in einiger Entfernung. Diese erinnern daran, dass es nicht weit entfernt von Homs immer noch kleine Gebiete gibt, die von Rebellen gehalten werden. Und diese stellen für die Stadt immer noch eine Gefahr dar. Erst vor zwei Tagen sei eine Granate nicht einmal 100 Meter vom Kloster entfernt eingeschlagen, berichtet P. Magdi. Zwei Personen wurden dabei getötet.
P. Magdi führt uns durch die Altstadt zu einer im Krieg zerstörten Kirche, die nun wieder aufgebaut wird. Über der Kirche wird auch gleich noch ein kleines Begegnungszentrum errichtet. Der dreistöckige "Neubau" bildet einen seltsamen Kontrast zu den Ruinen rundum. Zugleich wird der Funke Hoffnung spürbar, den die Jesuiten damit versprühen.
Aleppo
Auf der Fahrt Richtung Aleppo passieren wir nicht nur wieder unzählige Militärposten sondern auch eine Vielzahl völlig zerstörter Dörfer, teilweise wirklich dem Erdboden gleich gemacht. Wer soll hier jemals wieder leben?
Im Kloster der Franziskaner empfängt uns P. Ibrahim. Er berichtet von gut 50 Projekten, die die Franziskaner derzeit in Aleppo betreiben. Die Palette reicht von Nahrungsmittelhilfe über medizinische Unterstützung bis zu Geldspritzen für junge Ehepaare. Die Kirche kann nur dann glaubwürdig die Botschaft Jesu verkünden, wenn sie auch materiell hilft, ist P. Ibrahim überzeugt.
Die Franziskaner bemühen sich auch um die Renovierung von Wohnungen oder die Vermittlung von Arbeit. Und die Zahlen sind durchaus beeindruckend: 1.100 Wohneinheiten konnten bisher wieder hergestellt werden, 400 Arbeitsplätze wurden vermittelt bzw. geschaffen, pro Monat werden bis zu 70.000 Dollar für medizinische Hilfe aufgestellt. Besonders bedürftig sind die Kinder, erzählt der Ordensmann. Spezielle Hilfsprogramme gibt es auch für muslimische Kinder. 600 werden damit erreicht. Freilich kommen daneben auch das spirituelle Leben und er Katechese-Unterricht nicht zu kurz.
Derzeit sind die Franziskaner gerade damit beschäftigt, das traditionelle Sommercamp zu organisieren. Über zwei Monate bietet der Orden gemeinsam mit vielen Freiwilligen für rund 550 Kinder ein buntes Programm. Ausflüge ins Schwimmbad, Musikworkshops, Spiele aber auch Religionsunterricht gehören zum Angebot. Andere Urlaubsmöglichkeiten gibt es für die Familien in Aleppo sowieso nicht. Es fehlt das Geld und wohin sollten die Menschen auch fahren. Im Umland der Stadt gibt es immer noch Rebellengebiete.
Unser nächster Besuch gilt der melkitischen Kirche in Aleppo. Wir besuchen P. George Jamous. Er leitet einen Kindergarten und eine Schule für 650 Kinder. Gut 30 Prozent davon sind Muslime. Eine Herausforderung ist es für den Schulleiter, seine Lehrer zu halten. Deren Gehalt ist sehr gering und bewegt sich zwischen 30.000 (60 Euro) und 60.000 (120 Euro) syrische Lira. Da ist es kein Wunder, dass schon einige die Auswanderung gewählt haben. (Zum Vergleich: Das Taxi für die Fahrt von Aleppo nach Damaskus am nächsten Tag kostet uns 90 Euro.) Die Schule auch dringend eine Renovierung notwendig. Doch dafür fehlt das Geld.
Wir steigen auf das Dach des Altenheims im Zentrum von Aleppo. Vor uns breitet sich eine Ruinenlandschaft aus. Diese Eindrücke vertiefen wir dann noch bei einem "Spaziergang" durch die Gassen. Totale Zerstörung. Niemand kann in diesem Winkel der Stadt mehr leben.
Doch das ist nur die halbe Wahrheit über Aleppo: Keine hundert Meter weiter finden wir eine andere Stadt vor: Pulsierende Geschäftsstraßen, volle Straßenläden, flanierende Menschenmassen, volle Cafes und Restaurants – und das obligatorische Verkehrschaos samt enervierendem Gehupe. Unser Begleiter P. Hanna zeigt sich positiv überrascht. Bei seinem letzten Besuch in Aleppo vor einigen Monaten hätte es noch viel weniger offene Geschäfte gegeben, erzählt er.
Am Abend sitzen wir noch lange im Kloster der Franziskanerinnen mit der polnischen Ordensfrau Sr. Brygida zusammen. Im Krieg habe es eine "Welle der Solidarität" gegeben, erzählt sie. Jeder habe jedem geholfen, ganz gleich ob Christ oder Muslim. So hätten sich etwa auch junge Christen und Muslime spontan zusammengeschlossen, um Bedürftigen zu helfen. Wenn die Menschen sich um 4 Uhr früh bereits um Brot angestellt haben, dann hätten sie auch für die gebrechlichen Nachbarn immer etwas mitgenommen. Wenn wieder irgendwo eine Granate einschlug dann seien auch alle zusammengekommen und hätten bei der Bergung der Verletzten und Toten geholfen. "Die Christen haben während des Krieges das wahre Gesicht des Christentums gezeigt", sagt Sr. Brygida.
Für uns bleibt als Resümee der Appell von Bischof Arbach aus Homs: "Helft uns, damit wir in unserer Heimat bleiben können." Nicht mehr und nicht weniger können und müssen wir tun.