Sozialethikerin Gabriel: Vergrößerte Wirtschaftsfehlentwicklungen
Die Wiener Sozialethikerin Prof. Ingeborg Gabriel sieht einen ideologieübergreifenden Konsens darüber, dass sich die wirtschaftlichen Fehlentwicklungen vergrößert haben. Gabriel äußerte sich in einem "Kathpress"-Gespräch am Dienstag im Rückblick auf die Vatikan-Konferenz "New policies and lifestyles in the digital age", die Ende Mai aus Anlass des 25-Jahr-Jubiläums der von Johannes Paul II. gegründeten Stiftung "Centesimus Annus Pro Pontifice" in Rom stattgefunden hatte. Gabriel überreichte dabei den von ihr mitverfassten Band "Eine Wirtschaft, die Leben fördert - Wirtschafts- und unternehmensethische Reflexionen im Anschluss an Papst Franziskus" dem Papst. Das Buch stellt wirtschaftswissenschaftliche, ethische und theologische Ansätze zu Überwindung enger Ansätze vor.
Auch bei der Vatikan-Konferenz sei allgemeiner Tenor gewesen, dass die gegenwärtigen Wirtschaftsentwicklungen Anlass zur Sorge geben. Es bedürfe Offenheit über ideologische Grenzen hinweg, um Lösungen zu finden. Arbeitslosigkeit, vor allem Jugendarbeitslosigkeit, werde sich durch die digitalen Entwicklungen wohl weiter verschärfen und bringe für Familien vielfältige Belastungen mit sich. Geschwächt würden die Familien zudem, indem sie zum Auffangnetz für jene würden, die am Markt nicht gebraucht werden, sagte Gabriel.
Sie verwies auf die Notwendigkeit einer stärkeren Inklusion in der Arbeitswelt. Der Vortrag von Prof. Daniela Del Boca, einer anerkannten italienischen Ökonomin, die lange in Harvard gelehrt hat, habe diesbezüglich Wegweisendes enthalten.
Im Bereich der Ökologie habe sich im Vatikan u.a. ein Panel mit der Wegwerfkultur und Vernichtung von Lebensmitteln befasst, ein weiteres mit Fragen der ökologischen Landwirtschaft. "Es geht um die Frage: Wie können Abfälle verringert und alle mit Lebensmitteln versorgt werden?", so Gabriel.
Beeindruckend sei die Vorstellung unterschiedlicher Projekte aus dem Bereich gewesen. So zeige das "Felix Project" Justin B. Shaws in London, wie eine eigene Struktur zur Verteilung von Wegwerf-Lebensmitteln aufgebaut werden könne. Ein Unternehmer aus Hongkong habe ein ähnliches Projekt entwickelt. Prof. Gabriel würdigte weiters eine Solidaritätsinitiative, um arme und reiche Familien zusammen zu bringen, die vom ehemaligen Chef der maltesischen Nationalbank gegründet wurde.
Die Stiftung "Centesimus Annus Pro Pontifice" ist nach der Enzyklika von Johannes Paul II. von 1991 benannt. Sie bemühe sich, "über ideologische Grenzen hinweg Themen aufzugreifen, die Papst Franziskus vorantreibt und zu denen neben der Ökologie auch die Zusammenarbeit mit den anderen Kirchen gehört", erläuterte Gabriel:
Am letzten Vormittag hielt deshalb der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel Bartholomaios I. ein ausführliches Referat zum Thema 'A common Christian agenda for the Common Good', mit kritischen Anmerkungen zur gegenwärtigen Gesellschaftssituation, den Verlust des sozialen Zusammenhalts, der Exklusion und eines immer höheren Grades an Technologisierung und der Notwendigkeit gemeinsamer ökologischer Initiativen.
Dies sei neben der Papst-Audienz einer der Höhepunkte gewesen.
Insgesamt sei klar geworden, dass das Bewusstsein gestärkt werden müsse, "dass es in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft um humane und nicht nur um soziotechnische Lösungen geht".
Quelle: kathpress