Schönborn: Liebe braucht immer auch das ausgelegte Gesetz
Kardinal Christoph Schönborn hat bei der Juristen-Messe in der Wiener Thomas-Morus-Kirche an das "innerste Gesetz" erinnert, das den Menschen zu rechtem Tun anleitet. Dieses Gesetz gelte es wiederzuentdecken. Jesus habe sich in der jüdischen "Auseinandersetzung um das Herz des Gesetzes" auf die Frage eines Schriftgelehrten nach dem wichtigsten Gebot geäußert und diesbezüglich Gottes- und Nächstenliebe genannt. "Die Liebe braucht aber auch Details, darum ist die Auslegung des Gesetzes eine große Aufgabe", sagte der Kardinal zu den versammelten Juristinnen und Juristen.
Schönborn ging in seiner Predigt vom Bibeltext des 22. Kapitels im 2. Buch der Könige aus, das vom wiederentdeckten Gesetzbuch handelt. Dieses war unter König Joschija (647-609 v.Chr.) im Tempel aufgefunden worden. "Wer die Thora lebt, ist in Harmonie mit Gott und der Schöpfung", sagte der Wiener Erzbischof. Im Judentum gebe es deshalb das Fest Simchat Thora ("Thorafreude"). Ein Äquivaltent dazu fehle im Christentum, bedauerte Schönborn. Das Judentum feiere dieses Fest der Freude über die gottgegebene Weisung Gottes bis heute mit Tanz an diesem Tag.
Der Kardinal erzählte dazu ein Kindheitserlebnis. Als er einmal beim Nachbar-Tischler "ein Brett gestohlen" habe, hebe er "panisch befürchtet, dass man ihm da draufkommt", so Schönborn: "Ich bin dann zurückgelaufen und habe das Brett wieder zurückgebracht."
Schönborn zitierte dann den römischen Philosophen und Staatsmann Cicero, wonach ein inneres Gesetz den Menschen anleitet: "Dieses innerste Gesetz ist in den Zehn Geboten zusammengefasst." Es gebe "ein Grundwissen im Herzen, was richtig und was falsch ist", so Schönborn. Aufgrund seines Gewissens habe auch Thomas Morus gewusst, dass er Widerstand gegen die überzogenen Ansprüche seines Königs leisten musste. Thomas von Aquin habe ebenfalls über dieses Wissen nachgedacht und die Tugend der Gerechtigkeit entfaltet.
"Es braucht keine Compliance bzw. Beteuerungen von Regeltreue in Form freiwilliger Kodizes in Unternehmen, wenn es ein Gespür für die Gerechtigkeit, für die Klugheit und für das Maßhalten gibt", fasste der Kardinal zusammen. Er lud dazu ein, dieses dem Menschen innewohnende "innerste Gesetz wiederzuentdecken".
Dankbar für Rechtsstaat
Der Dornbacher Pfarrer Wolfgang Kimmel sagte in seiner Begrüßung zu Beginn der Eucharistiefeier, die Thomas-Morus-Kirche auf dem Schafberg sei für die Bewohner der Gegend, aber auch für die Rechtsgelehrten dieser Stadt, erbaut worden: "Wir wollen Gott danken für den Rechtsstaat Österreich und ihn bitten, dass Recht und Wahrheit in Europa bestimmend bleiben", sagte Kimmel.
Die Juristen-Messe findet seit Fertigstellung des Kirchengebäudes seit Beginn der 1970er-Jahre regelmäßig einmal im Jahr in der Thomas-Morus-Kirche auf dem Schafberg statt. Die Tradition war kurzzeitig für wenige Jahre unterbrochen.
Der Obmann des Komitees der Juristen-Messe, Prof. Gerhart Holzinger (Präsident des Verfassungs-Gerichtshofes/VfGH von 2008-2017), stellte zwei englische Heilige in den Mittelpunkt, Thomas Morus und John Fisher. "'Gewalt und Macht gehen niemals vor Recht und Wahrheit' - diese Worte des Märtyrers Thomas Morus stehen als christlicher Anspruch an alle, die auch heute den Rechtsstaat gestalten", so Holzinger. Im Jahre 1535 habe der englische Lordkanzler Thomas Morus den Eid auf die neue Verfassung verweigert, die König Heinrich VIII. anstelle des Papstes zum Oberhaupt der Kirche machen sollte. Deshalb seien er und sein Gefährte, Bischof John Fisher von Rochester, noch im selben Jahr hingerichtet worden.
Rechtsanwälte und Gewissen
Zur Frage nach der Rolle des Gewissens in Handeln und Tun von Juristen äußerten sich die Rechtsanwälte Klaus Kabelka und Walter Ruckenbauer. "Gemäß § 9 Rechtsanwaltsordnung (RAO) ist ein Rechtsanwalt verpflichtet, die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten und er ist dazu befugt, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten", sagte Kabelka.
Wenn der Gesetzgeber dabei von "Gewissen" spreche, meine er laut Judikatur nicht irgendein allenfalls "durchschnittliches Gewissen", sondern das durch den Gesetzgeber selbst beschriebene "anwaltliche Gewissen". Dieses sei "hohen berufsethischen Grundsätzen verpflichtet". Auf dem Prüfstand befänden sich "anwaltliches Gewissen" und "hohe berufsethische Grundsätze" im Einzelfall wohl insbesondere dann, wenn sie mit Eifer und Treue oder mit Auftrag und Gesetz in Konkurrenz gerieten. Hier werde wohl kaum "vollkommen getrennt von Weltanschauung und Religion" geurteilt werden können.
Christliches Leitbild hilfreich
Ruckenbauer sagte, die Ausbildung des Gewissens nach einem christlichen Leitbild verhelfe in der täglichen Praxis zu einer besseren Unterscheidung in jedem einzelnen Fall, eine gerechte Lösung zu finden. Auch bei der Rechtsdurchsetzung bedürfe es des Augenmaßes, da nicht jede dem eingeräumten rechtlichen Anspruch entsprechende Entscheidung auch tatsächlich die Interessen der eigenen Mandantschaft widerspiegle.
"Dass im Gegenzug durch Beachtung der Würde des Gegenübers und dem grundlegenden Anspruch der Achtung des Nächsten auch oftmals eine beiderseitige Gewinnsituation geschaffen werden kann, ist durchaus einer von christlichem Denken geprägten Einstellung zu verdanken", so Ruckenbauer. Schönborns Predigtworte, wonach Juristen auch an die Gerechtigkeit denken sollen, seien dafür eine "wohltuende bestätigende Aufforderung" gewesen.
Quelle: kathpress