Sozialakademie: Kritik an "Götzendienst" Wirtschaftswachstum
"Die Wirtschaft ist für den Menschen da, nicht der Mensch für die Wirtschaft": Diesen Grundsatz der Katholischen Soziallehre ernst zu nehmen hieße eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik in Richtung Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, sicher nicht jedoch Wirtschaftswachstum als Staatsziel in die Verfassung aufzunehmen, wie das die derzeitige Bundesregierung im Auge hat. Wie der Ökologe und Politikwissenschafter Andreas Exner, der als "Schasching-Fellow" 2018/2019 in der Katholischen Sozialakademie Österreichs (ksoe) forscht, gleicht die ausschließliche Orientierung am Wirtschaftswachstum einem "modernen Götzendienst", der als "strukturelle Sünde" uns selbst und die Natur schädigt.
In seinem aktuellen ksoe-Blog-Beitrag (http://blog.ksoe.at) wundert sich Exner über den nicht hinterfragten Konsens in dieser Frage: "So vertreten auch politische Kräfte, die sonst konträr ausgerichtet sind, weitgehend die Meinung, dass die Produktion an Gütern und Dienstleistungen zunehmen soll, bei steigender Effizienz und immer besserer Qualität." Doch die dahinter stehende Befürchtung von drastischen Arbeitsplatzverlusten und vor wachsender Armut in einer Welt ohne Wirtschaftswachstum ist laut dem Experten unbegründet, ja ein "eklatanter Fehlschluss". In den westlichen Industrieländern gebe es genug Güter und Dienstleistungen für alle. "Allerdings sind diese höchst ungleich verteilt", wandte Exner ein. Konsum und Vermögen konzentrierten sich zunehmend bei "jenen, die schon mehr als genug besitzen". Wie viele Studien zeigten, habe die steigende Produktionsmenge zumindest im Westen spätestens seit den 1980er Jahren nicht mehr dazu geführt, dass sich auch die gesellschaftliche Lebensqualität erhöht.
Der Politikwissenschafter macht den Primat der "kapitalistischen Wirtschaftsweise" und die damit verbundene Wirtschaftswachstums-Gläubigkeit für viele heutige Probleme verantwortlich: Es werde nicht nur soziale Ungleichheit, Konkurrenzorientierung und Gestresstheit gefördert, "die den gesellschaftlichen Zusammenhalt zunehmend ruinieren". Wirtschaftswachstums als Leitprinzip heutiger Politik verschärfe auch die Zerstörung der natürlichen Umwelt und das Problem des Klimawandels, die lokale Bevölkerungen in die Not treiben und für ein dramatisches Artensterben sorge - ein unwiederbringlicher Verlust für die Menschheit insgesamt, wie Exner schrieb. Auch Papst Franziskus habe in seiner Enzyklika "Laudato si" darauf hingewiesen, dass Wirtschaftswachstum mit einer sozial desaströsen Konsumhaltung verbunden sei und sich gegen eine "Wirtschaft, die tötet" gewandt.
Es greife zu kurz, dass viele angesichts dieser Verwüstungen des Planeten Erde auf eine Steigerung der Effizienz des Ressourceneinsatzes oder den Umstieg auf erneuerbare Ressourcen setzen. Wenn erneuerbare Energieträger die nicht-erneuerbaren wie Kohle, Erdöl und Erdgas ersetzen - was grundsätzlich richtig sei -, würden allerdings erneut Probleme geschaffen, wenn der Ressourcenverbrauch insgesamt nicht eingeschränkt wird, warnte Exner. Als Beispiele nannte er die Enteignung von Kleinbauern durch Großinvestoren für deren Produktion von Biotreibstoffen, die Zerstörung natürlicher Flussökosysteme durch Wasserkraft und den umweltschädliche Bergbau zur Gewinnung von seltenen Metallen, die z.B. für Elektroautos benötigt werden.
Mensch braucht mehr Sein, nicht mehr Haben
Der Politikwissenschafter wies auf einen weiteren Grundsatz der Katholischen Soziallehre hin, die eine Abkehr von der derzeitigen Wirtschaftspolitik erfordere: Die wahre Bestimmung des Menschen bestehe nicht im Haben, sondern im Sein. Statt Wirtschaftswachstum sollte als Staatsziel viel eher in die Verfassung Eingang finden, was schon die Pastoralkonstitution "Gaudium et Spes" des Zweiten Vatikanischen Konzils im Hinblick auf die wirtschaftliche Tätigkeit des Menschen festhielt: Letzter Zweck von Produktionsprozessen liege "weder in der vermehrten Produktion als solcher noch in Erzielung von Gewinn oder Ausübung von Macht, sondern im Dienst am Menschen". Ausdrücklich nannten die Konzilsväter hier den "ganzen Menschen" im Hinblick auf seine materiellen, aber auch auf seine geistigen, sittlichen und spirituellen Bedürfnisse und hatte dabei weltweit alle Menschen im Blick.
Andreas Exner zog daraus den Schluss: "Statt undifferenziert am Wirtschaftswachstum festzuhalten wäre daher unter heutigen Bedingungen eine deutliche Reduktion der Arbeitszeit zu befürworten, die eine neue Kultur der Muße unterstützt." Der Experte berief sich auf Papst Franziskus, der in "Laudato si" die Stunde für gekommen ansieht, "in einigen Teilen der Welt eine gewisse Rezession zu akzeptieren und Hilfen zu geben, damit in anderen Teilen ein gesunder Aufschwung stattfinden kann".
Quelle: kathpress