"Musica Sacra" als Anstoß zu Geschichtsbewusstsein und Toleranz
Das Festival "Musica Sacra" in der Diözese St. Pölten soll heuer - so der Wunsch von Domkapellmeister Otto Kargl - als Anstoß zu Geschichtsbewusstsein und Toleranz dienen. Die fünf Konzerte und drei musikalisch hochkarätig gestalteten Gottesdienste im St. Pöltner Dom sowie in den Stiftskirchen von Herzogenburg und Lilienfeld zwischen 9. September und 7. Oktober bieten Musik vom Frühbarock bis zur Moderne unter dem Leitthema Frieden. Besonders hob Kargl im Interview mit der aktuellen Ausgabe der Kirchenzeitung "Kirche bunt" das von Olivier Messiaen während des Zweiten Weltkriegs komponierte Werk "Vogelgesang mit Engelsposaunen" hervor.
Messiaen habe seine Komposition 1940 als Internierter im deutschen Kriegsgefangenenlager in Görlitz geschrieben. Er und seine Mithäftlinge seien von Hunger und Kälte gezeichnet gewesen und hätten dieses Werk trotzdem auf halbkaputten Instrumenten monatelang eingeübt und in Gefangenschaft aufgeführt, berichtete Kargl. Es hatte "für die Musiker und die Mitgefangenen so eine heilende Wirkung, dass man sich das gar nicht vorstellen kann", und sei gerade heute "hochaktuell und ein starkes Zeichen gegen Antisemitismus", so der renommierte Kirchenmusiker.
Freilich sei es gerade bei Messiaen "absolut legitim, wenn jemand diese Musik teilweise verstörend empfindet und den Raum verlässt", räumte Kargl ein. "Wenn jemand sagt: Das halte ich nicht aus, das ist eine Katastrophe, dann ist das legitim. Dann ist es genau so, wie Messiaen und die anderen Häftlinge damals ihre Situation erlebten: Es war eine Katastrophe." Kargls Wunsch wäre ein Anstoß, dass das Publikum das Konzert in der ehemaligen St. Pöltner Synagoge "noch offener, toleranter und menschlicher" verlässt.
Der Musik traut der Kapellmeister eine enorme Wirkkraft zu: Sie könne verstörend oder aber erbaulich oder gar heilend sein. "Grundsätzlich ist es mir aber schon zu wenig, wenn man Musik nur als schön und genussvoll degradiert", sagte Kargl. Das zeige sich beispielsweise bei den beiden Londoner "Migranten" Händel und Haydn. Letzterer habe in der Westminster Abbey den "Messias" von Händel gehört und unter diesem Eindruck zuhause sechs Hochämter geschrieben. Kargl:
Ohne diese London-Erfahrung wären diese Werke wohl nie zustande gekommen und es ist traurig, dass man heute Menschen, die migrieren, oft nur als Wirtschaftsflüchtlinge abstempelt.
Das Programm beginnt am Sonntag, 9. September, um 18 Uhr mit dem "Dettinger Te Deum" von Georg Friedrich Händel und der "Heilig-Messe" von Joseph Haydn. Ausführende sind die Domkantorei St. Pölten, die "capella nova Graz" und das "L'Orfeo Barockorchester". Es folgen Konzerte mit Werken von Franz Schubert (21. September, Dom zu St. Pölten), von Claudio Monteverdi (29. September, Stiftskirche Herzogenburg), Beispiele aus der Blütezeit der spanischen Polyphonie (30. September, Stiftskirche Lilienfeld) und Messiaens "Vogelgesang mit Engelsposaunen" am 5. Oktober. Die musikalisch gestalteten Gottesdienste werden am 16. September in Lilienfeld, am 23. September im St. Pöltner Dom und am 7. Oktober in Herzogenburg gefeiert. (Info: www.festival-musica-sacra.at)
Quelle: kathpress