Theologe: Kirche und Theologie können vom HipHop viel lernen
Wenn Kirche und Theologie die Welt, die Gesellschaft und auch die Anliegen der Jugend verstehen wollen, kommen sie nicht umhin, sich auf eines der gegenwärtig größten und wichtigsten popkulturellen Phänomene weltweit einzulassen: Den HipHop. Das hat der Theologe Jürgen Manemann im Gespräch mit "Kathpress" betont.
Wer das Leben verstehen will, sollte sich mit jener Kultur auseinandersetzen, die von sich behauptet, nichts anders als Leben zu sein; die ein hohes Sensorium für Fragen der Gerechtigkeit und des guten Lebens hat.
Indem im HipHop "performed wird, was an der Zeit ist" und sich dazu u.a. religiöse Motive aneignet, werde HipHop zu einem Phänomen, an dem Theologie und Kirche heute nicht vorbeikämen, mahnte der Leiter des Forschungsinstituts für Philosophie in Hannover (fiph).
Manemann hat zuletzt das Buch "Philosophie des HipHop. Performen, was an der Zeit ist" veröffentlicht, welches vor allem auf Gesprächen mit den deutschen Hiphopern Megaloh, Sookee und Spax basiert. Am diözesaneigenen Forschungsinstitut hatte Manemann außerdem eine öffentliche Vortragsreihe unter dem Titel "HipHop-Lectures" initiiert sowie vor drei Jahren eine HipHop-Großveranstaltung in Hannover mit über 700 Teilnehmern organisiert, bei der neben HipHop-Performances auch philosophische Diskussionen geführt wurden.
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Konkret könnten Theologie und Kirche vom HipHop etwa lernen, "was es bedeutet, 'real' und authentisch zu sein". Dies sei schließlich die erste Kritik, die HipHoper an institutionalisierten Formen von Religion anbringen würden: nicht authentisch zu sein und "nicht im persönlichen Alltag zu leben, was man auf der kirchlichen Bühne 'performed'". Papst Franziskus sei da ein gutes Beispiel für "Realness" im Sinne des HipHop: Indem er "rede, wie ihm der Schnabel gewachsen ist" mache er vor allem deutlich:
Ich bin ein Mensch - und zu meiner Humanität gehört auch, dass ich sage, was ich denke.
Auch könne man vor dem Hintergrund der oft schmerzhaft direkten Sprache des HipHop fragen: "Neigen wir als Kirche nicht allzu oft dazu, Probleme theologisch und ekklesiologisch zu verschlüsseln, statt sie einfach offen auszusprechen?" Dies sei es auch, was junge Menschen am HipHop schätzen: die direkte Kommunikation, die Widersprüche und Probleme nicht überspiele, sondern offen thematisiere.
Gewiss gebe es eine nachvollziehbare Scheu insbesondere etwa vor der Ästhetik des HipHop, vor gewaltverherrlichenden oder gar antisemitischen Passagen und Texten - es gebe aber eine rege kritische Diskussion innerhalb des HipHop über diese Fragen. Außerdem bedeute die künstlerische Verarbeitung einer Gewaltsprache oder auch von Sexismus nicht einen Aufruf, so zu handeln, sondern im Gegenteil "in diesen Spiegel der Gegenwart zu blicken" um gerade anders zu handeln. Insofern sei der HipHop eine kritische Philosophie der Gegenwart.
Wenn im HipHop einander "gedissed", beleidigt und provoziert werde, so sei dies der Spiegel einer um Anerkennung ringenden Gesellschaft und ein Zeichen dafür, dass traditionelle Quellen des Selbstwertgefühls und der Anerkennung, für die auch Religion steht, offenbar nicht mehr genügend Überzeugungskraft besitzen, so Manemann: "Der Imperativ des HipHop lautet: Glaube an dich. Da würden Theologen 'Hedonismus!' schreien - aber die Frage ist doch: wer sagt heute noch 'Ich glaube an dich'?" Daher sei der HipHop eine Form des "Empowerments", weil er "den Stimmlosen eine Stimme gibt".
Literaturhinweis: Der von Jürgen Manemann und Eike Brock herausgegebene Band "Philosophie des HipHop. Performen, was an der Zeit ist" ist im transcript-Verlag erschienen.
Quelle: kathpress