Österreichische NGOs: In EU-Asylpolitik erodieren Werte
In der europäischen Asylpolitik erodieren Werte, die bisher kennzeichnend für das Nachkriegseuropa waren und Niederschlag in grundlegenden Menschenrechtsdokumenten gefunden haben. Demgegenüber legten Vertreter der in der Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt (BAG) vertretenen österreichischen Hilfsorganisationen am Donnerstag ein gemeinsames Positionspapier vor, das aktuelle Reformvorschläge etwa der EU-Kommission für das "Gemeinsame Europäische Asylsystem" (GEAS) kritisch beleuchtet und festhält: "Europa muss Verantwortung übernehmen und Menschenrechte ernst nehmen."
Details dazu gaben Vertreter von Caritas, Diakonie, Rotem Kreuz und Volkshilfe bei einem Pressegespräch in Wien bekannt. Mit an Bord ist auch das Hilfswerk, das am Podium nicht vertreten war. Gemeinsamer Tenor: Das Streitthema Asyl braucht europäische Solidarität, ohne dass dabei Abstriche von bisher geltenden menschenrechtlichen, völkerrechtlichen und europarechtlichen Standards gemacht werden. Caritas-Generalsekretär Bernd Wachter erklärte als derzeitiger BAG-Vorsitzender, das gemeinsame Europa sei trotz aller Schwächen ein "einzigartiges Friedensprojekt". Grundlegende Rechte und Standards seien dabei "nicht irgendwelche Nebenbeithemen", hier gehe es "um den Kern, um das Herz Europas".
Tendenz "Wer hilft, wird verdächtigt"
Die EU-Ratspräsidentschaft Österreichs wäre - "ich muss hier leider im Konjunktiv bleiben", so Wachter - eine gute Möglichkeit, sich für ein menschenrechtliches Europa einzusetzen. Stattdessen werde "mantrahaft" der Außengrenzschutz betont, ohne dass in den Blick gerate, "was vor und hinter diesen Grenzen geschieht". Der Caritas-Generalsekretär sieht Europa vor fundamentalen Richtungsentscheidungen, die "spaltenden" Aussagen vieler Politiker gäben Anlass zur Sorge. Wachter ärgerte sich über "dumme Vorwürfe" wie jenen, dass "die Asylindustrie um ihre Aufträge läuft". "Absurd" sei auch die Tendenz "Wer hilft, wird verdächtigt".
Beim Ringen um eine gemeinsame EU-Asylpolitik gebe es viel Emotion und Unsachlichkeit, dem wollten die fünf NGOs mit Anstößen zu einem sachlichen Dialog entgegentreten, so Wachter. Inhaltlich eine nicht zu überschreitende rote Linie sei für die Hilfsorganisationen, Flüchtlingsschutz in Krisen- und Transitstaaten außerhalb der EU zu verlagern.
Das Positionspapier der BAG wendet sich gegen die zu befürchtende Vereinheitlichung der EU-Asylstandards, die auch zu einer Verschlechterung führen würden. Die EU-Kommission hatte grundlegende Änderungen etwa an der Dublin-Verordnung vorgeschlagen, zum Teil gebe es bereits informelle Einigungen zwischen EU-Rat und -Parlament über die Vorschläge. Angestrebt wird etwa, dass bei jedem Asylantrag zuerst geprüft werden muss, ob nicht in einem "sicheren Drittstaat" außerhalb der EU ausreichender Schutz gewährt werden kann.
"Das kann so weit gehen, dass es für schutzsuchende Menschen gar keine Möglichkeit mehr gibt, ein Asylansuchen in der EU zu stellen", warnte Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser. Denn auch die Anforderungen für die Definition von "sicheren Staaten", sollen heruntergeschraubt werden. "Das ist ein Punkt, der für uns nicht verhandelbar ist", betonte Moser. "Ein Staat ist nur dann sicher, wenn er Menschen auf der Flucht eine effektive Möglichkeit bieten kann, Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention zu erlangen."
Verhinderte Familienzusammenführung
Rotkreuz-Präsident Gerald Schöpfer gab zu bedenken, dass dieser Vorschlag auch Auswirkungen auf das Recht auf Familienleben hat. "Die Prüfung, ob ein außereuropäischer Drittstaat als Aufnahmeland in Frage kommt, würde stattfinden - unabhängig davon, ob die Antragsteller bereits Familie in Europa haben", wies Schöpfer hin. "Wenn dadurch Familienzusammenführungen nicht zustande kämen, wäre das sowohl eine persönliche Tragödie für die Angehörigen als auch ein Nachteil für alle Integrationsbemühungen." Wenn die ÖVP-FPÖ-Regierung immer wieder den Wert der Familie hochhalte, müsse das auch für Flüchtlinge gelten, so der Rotkreuz-Präsident.
Scharf kritisierte Schöpfer auch, dass Familienzusammenführungsanträge von Minderjährigen von den Behörden so lange auf die lange Bank geschoben werden, bis diese das Erwachsenenalter erreicht haben und der Anspruch darauf verwirkt ist. Er schlug vor, in solche Fällen das Alter bei der Antragstellung als verbindlichen Maßstab zu nehmen.
Den Schutz von Minderjährigen forderte auch Volkshilfe-Bundesgeschäftsführer Erich Fenninger ein: Der Vorschlag der EU-Kommission, dass auch Angehörige dieser Altersgruppe in Schubhaft kommen bzw. in Schnellverfahren an der Grenze abgewiesen werden können, sei ein "unglaublicher Eingriff in Kinder- und Jugendrechte" und ein "Verbrechen". Verschlechterungen seien auch beim subsidiären Schutz von Heimatvertriebenen zu befürchten, sagte Fenninger. Die BAG plädiere demgegenüber im Einklang mit dem EU-Parlament für eine Ausweitung der Aufenthaltsdauer Betroffener auf fünf Jahre statt wie von der Kommission angestrebt auf ein Jahr.
Caritas-Generalsekretär Wachter erläuterte die Punkte 9 und 10 des BAG-Positionspapiers und forderte dabei den Ausbau der Resettlement-Programme in Europa. In Österreich nutzten dieses humanitäre Aufnahmeprogramm zuletzt 400 Personen, die Regierung will künftig aber kein weiteres Kontingent übernehmen, wie Wachter darlegte. Deutschland dagegen "resettelt" aktuell 10.000 Flüchtlinge.
Kommission unterläuft EU-Verträge
In der anschließenden Diskussion wies Diakonie-Asylexperte Christoph Riedl darauf hin, dass die EU-Kommission zuletzt ihre frühere Rolle als Hüterin der EU-Verträge aufgegeben habe und eine Linie fahre, die hinter die Grundrechtecharta zurückgeht. Die Wahrung der Menschenrechte sei derzeit dem EU-Parlament mehr Anliegen. Problematisch ist laut Riedl die Tendenz, das Asylthema an die Grenzen Europas zu verlagern, in Länder wie Griechenland, wo Lasten schwerer zu tragen seien als anderswo. Die untragbaren Zustände im Flüchtlingscamp Moria auf der Ägäis-Insel Lesbos seien ein Beispiel dafür, dass sogenannte "Hotspots" nicht funktionieren, Trotzdem setze die EU weiter darauf.
In der Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt (BAG) arbeiten seit 1995 die großen Trägerorganisationen Caritas, Diakonie, Hilfswerk, Rotes Kreuz und Volkshilfe zusammen, um gemeinsame sozialpolitische Anliegen zu artikulieren sowie eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Arbeit privater gemeinnütziger Träger in Österreich zu erreichen. Themenschwerpunkte der BAG sind Pflege, Sozialhilfe, Armut, Integration und Kinderbetreuung. (Infos: freiewohlfahrt.at)