Seenotrettung: Heftige Diakonie-Kritik an Bundeskanzler Kurz
Diakoniedirektorin Maria Katharina Moser übt heftige Kritik an Bundeskanzler Sebastian Kurz: "In der Debatte um Seenotrettung mit Mythen und Unterstellungen zu operieren, ist eines Bundeskanzlers und amtierenden EU-Ratsvorsitzenden nicht würdig", so Moser in einer Aussendung am Montag. Kurz hatte gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" NGOs vorgeworfen, mit Schleppern gemeinsame Sache machen, um Menschen nach Mitteleuropa zu bringen. "Es kann doch nicht sein, dass ein paar Nichtregierungsorganisationen das klare Ziel der 28 Staats- und Regierungschefs in Europa konterkarieren. Und das nicht nur mit dem Ziel, Leben zu retten, sondern gemeinsam mit den Schleppern Menschen nach Mitteleuropa zu bringen."
Diese Aussage des Bundeskanzlers wollte Moser so nicht stehen lassen: "Man muss die Zusammenhänge sehen: Die renommierte Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen und andere Nichtregierungsorganisationen wurden in der Seenotrettung aktiv, nachdem die Regierungen ausgelassen haben," betonte Moser in ihrer Aussendung.
Ende Oktober 2014 sei die von der italienischen Küstenwache durchgeführte Aktion "Mare Nostrum" eingestellt worden, in deren Rahmen 150.000 Menschenleben gerettet worden waren. Der Grund für die Einstellung: Die EU sei nicht bereit gewesen, sich an den Kosten zu beteiligen. Es habe zwar Nachfolgemissionen gegeben, aber mit geringeren finanziellen Mitteln, auf einem kleineren Gebiet und mit Fokus auf Grenzschutz. Moser: "Das hat die Rettungs- und Hilfsorganisationen auf den Plan gerufen. Nichtregierungsorganisationen müssten keine Seenotrettungsmissionen durchführen, würden die Regierungen ihrer Verantwortung nachkommen."
"Pull-Effekt" ist Mythos
Dass die Seenotrettung dazu führe, dass immer mehr Menschen den gefährlichen Weg über das Mittelmeer auf sich nehmen, sei ein Mythos, so die Diakoniedirektorin. "Studien zeigen, dass es den viel zitierten Pull-Effekt nicht gibt. Fakt ist, dass die Mortalitätsraten im Mittelmeer gestiegen sind, nachdem die Seenotrettung zurückgefahren wurde".
Warum die Kooperation mit Libyen beständig als Lösung beschworen werde, ist für Moser zudem nicht nachvollziehbar: "Erstens ertrinken die meisten Bootsflüchtlinge in Libyschen Hoheitsgewässern. Zweitens ist Libyen kein place of safety." Das habe ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte 2012 bestätigt. Die Zustände in Libyen seien allgemein bekannt. In den dortigen Lagern sei die medizinische Versorgung kaum gewährleistet. Es gebe keine Registrierung oder funktionierende Dokumentation. Menschenrechtsorganisationen berichteten von unvorstellbaren, menschenunwürdigen Zuständen.
Menschen nach Libyen zurück zu bringen, sei deshalb aus völkerrechtlicher und menschenrechtlicher Sicht nicht gestattet, so Moser. Darüber hinaus gelte EU-Recht, wonach jeder Mensch das Recht habe, einen Asylantrag zu stellen und das Recht auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren in Europa. "Wir hören oft den Satz: Recht muss Recht bleiben. Ärzte ohne Grenzen und andere Hilfsorganisationen tun genau das - sie sorgen im Mittelmeer dafür, dass Recht Recht bleibt", so Moser abschließend.
Quelle: Kathpress