Kirchlicher Menschenrechtler warnt vor Mercosur-Abkommen
Vor drastischen Folgen eines derzeit in Verhandlung befindlichen Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und den Mercosur-Staaten (Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay) warnt der argentinische Sozialaktivist Juan Carlos Figueredo. "Der Vertrag würde alle Land-, Umwelt- und Sozialprobleme Südamerikas stark verschlimmern und auch Österreichs kleinstrukturierte Landwirtschaft unter Druck setzen. In jedem Kilogramm an Lebensmitteln, das von Südamerika in die EU kommt, steckt Umweltschädigung, Unrecht und Leid", sagte der langjährige Projektpartner des Welthauses der Diözese Graz am Dienstag im Interview mit "Kathpress".
Figueredo besuchte in den vergangenen Tagen Österreich und wies in Podiumsdiskussionen und Gesprächen mit Vertretern aus Politik, Landwirtschaft und Handel auf die Hintergründe des Assoziierungsabkommens hin, dessen 1999 gestartete Verhandlungen nach 34 Runden nun in der Zielgeraden sind. Bei den geheimen Treffen dreht sich laut Figueredo fast alles um Zölle und Produktpreise. Nicht aber um die Einhaltung der Menschenrechte oder nachhaltige Entwicklung - Kriterien, auf welche die EU unbedingt pochen müsse, so das Anliegen des kirchlichen Sozialexperten.
Die Abkommen sollen nicht reine Handelsverträge werden, sondern auch Arbeit, Umwelt und soziale Faktoren berücksichtigen.
Nötig sei das Einlenken der EU aufgrund der absehbaren Probleme durch den angepeilten Freihandel. Dieser betreffe aus argentinischer Produktion fast ausschließlich in Monokulturen und industrieller Landwirtschaft hergestellte Erzeugnisse wie Rindfleisch, Soja, Mais, Sonnenblumen und Baumwolle. "Dafür wird Wald abgeholzt, was sich schlecht für das Weltklima auswirkt, es gibt enorme Verunreinigung des Ökosystems durch Agrochemikalien und schlimme soziale Folgen wie die mitunter gewaltsame Vertreibung indigener Kleinbauern von ihrem Land", schilderte Figueredo, dessen kirchliche Organisation INCUPO sich seit Jahrzehnten für die Rechte der Ureinwohner stark macht. In den anderen Mercosur-Staaten Brasilien, Uruguay und Paraguay sei die Situation ähnlich.
Verschärfung des Hungers
Paradoxerweise werde der Fokus auf Nahrungsmittelexport in seiner Heimat Argentinien dazu führen, dass in dem eigentlich reichen Land das Hungerproblem verstärkt wird; schließlich würden die Einnahmen aus der Landwirtschaft in den Händen weniger, meist internationaler Großkonzerne landen. "Aufgrund der aktuellen Wirtschaftskrise im Land leben über 40 Prozent der Argentinier in Armut. Die Zahl der Armenausspeisungen und Nahrungsmittel-Ausgabestellen ist seit 2016 explodiert - und zwar nicht nur in Buenos Aires, sondern auch in den Landregionen", berichtete der Sozialexperte. Erst Ende September hatte die UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Nahrung, Hilal Elver, nach einem 10-Tage-Besuch in Argentinien der Regierung dringend Maßnahmen zur Sicherstellung der Ernährung der Bevölkerung empfohlen.
Auch für Österreich hätte das Mercosur-Abkommen vielerlei Nachteile, erklärte Figueredo. Beispielsweise kämen Europas kleine Landwirte durch den Freihandel noch mehr unter Druck, könnten sie doch mit dem Billigfleisch der riesigen Geflügel- und Rinderfarmen in Südamerika preislich nicht mithalten. Weiters sei argentinisches Rindfleisch mit Agrochemikalien wie Glyphosat belastet, denn obwohl die Rinder der Großfarmen auf offenen Weiden lebten, werde am Ende der Mast transgenes Futter wie etwa Soja, Mais oder Baumwollsaat verfüttert.
Bio als Alternative
Er sei "nicht gegen Freihandel an sich, aber doch klar gegen eine Form von Handel, die ungerecht und nicht nachhaltig ist", erklärte der INCUPO-Aktivist aus Argentinien. Es gelte, Alternativen einer "ergänzenden Wirtschaft" und einer "gemeinsamen Verantwortung" ins Auge zu fassen; so könne etwa Österreich durch seine Erfahrungen bei der Bio-Landwirtschaft sein Wissen zur Verfügung stellen, damit Betriebe in Argentinien - bis hin zu den indigenen Erzeugern - darauf aufbauend "gute Nahrung in guter Qualität" produzieren könnten. Derartige Ansätze seien jedoch in den Verhandlungen bisher völlig ausgeklammert.
Vollinhaltlich unterstützte Figueredo ein Grundsatzpapier, mit dem die Koordinierungsstelle der Bischofskonferenz (KOO) zu den Mercosur-Verträgen Stellung bezogen hat. Das Kapitel zur Nachhaltigkeit müsse dringend reformiert und zum "Herzstück" des Abkommens werden, heißt es darin. Nötig seien weiter auch eine Folgenabschätzung in Sachen Menschenrechte, der unbedingte Vorrang von Arbeits-, Umwelt- und Menschenrechtsnormen vor zollpolitischen Vereinbarungen und die Einführung von Mechanismen für Beschwerden, Sanktionen und Monitoring.
Quoten für Rindfleisch oder Ethanol sollten nicht ausgeweitet werden, seien doch die Auswirkungen nicht abschätzbar, liest man im Vorschlag weiter. Der kirchliche Dachverband empfiehlt die Wiederaufnahme der Mercosur-Staaten in ein grundlegend reformiertes Allgemeines Präferenzsystem (APS), um zollpolitische Vergünstigungen zu wahren. Auch der Verhandlungsprozess an sich sei reformbedürftig: Alle Interessierten sollten in die Verhandlungen einsehen können, zudem gelte es bei allen Schritten die Menschenrechts- und Nachhaltigkeitsverpflichtungen zu prüfen. "Südamerikas Zivilgesellschaft weiß über die Verhandlungen nur über die von europäischen NGOs erhobenen Infos Bescheid. In unseren Ländern wird darüber geschwiegen", bestätigte Figueredo.
Quelle: kathpress