Novemberpogrom 1938: Gedenken an kirchlichen Protestler Ude
Die Kirche war viel zu leise, als sie hätte laut protestieren müssen: So lautet eine zentrale Botschaft jener kirchlichen Stimmen, die sich in diesen Tagen zu den Novemberpogromen des Jahres 1938 geäußert haben. Es gab damals, vor 80 Jahren, offenbar zu wenig Gerechte und zu viel Verblendung in den Reihen der Kirche. Zu den wenigen Standhaften zählte indes der Grazer Priestergelehrte Johannes Ude (1874-1965), der am 11. November 1938 den einzigen und daher auch einzigartigen Protest gegen die Novemberpogrome formulierte und in einem Brief an den NS-Gauleiter Sigfried Uiberreither gegen die "banditenartigen Überfälle" seine Stimme erhob.
Ihm und seinem Protest widmete die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Graz jüngst ein eigenes Symposion. Initiiert wurde die Tagung von der Grazer Kirchenhistorikerin Michaela Sohn-Kronthaler, dem Grazer Sozialethiker Leopold Neuhold und Dekanatsdirektor Siegfried Kager sowie von Franz Sölkner von der katholischen Friedensbewegung "Pax Christi". Unter den Teilnehmern waren auch die emeritierten Bischöfe Egon Kapellari (Graz) und Maximilian Aichern (Linz).
Die Grazer Kirchenhistorikerin und Initiatorin der Tagung, Michaela Sohn-Kronthaler, beleuchtete die näheren Umstände des in dieser Form im gesamten "Deutschen Reich" einmaligen Protestbriefes und seiner Entstehung. So seien die Pogrome gegen jüdische Mitbürger und die Erfahrung des entfesselten Hasses und der Gewalt für Ude zu einer Art "Damaskuserlebnis" geworden, welches bei ihm zu einer "radikalen Änderung seiner Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus und entschiedenen Abkehr vom Nationalsozialismus" geführt habe. Anfänglich hatte Ude nämlich noch mit dem Nationalsozialismus sympathisiert und für den "Anschluss" Österreichs im April 1938 an Deutschland geworben. In seinem Protestbrief formulierte Ude entsprechend: "Ich darf zu diesen Vorgängen nicht schweigen, denn dazu schweigen hieße zu ihnen seine Zustimmung geben".
Dass das Protestschreiben immerhin beantwortet wurde und zwar innerhalb weniger Tage, am 14. November 1938, war ebenso außergewöhnlich, wie Sohn-Kronthaler aufzeigte. In barschem Ton verwies Uiberreither Ude in dessen Zuständigkeitsgebiet, nämlich die Seelsorge. Besonders mache den Protest Udes zudem, dass er einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde und vor allem in Widerstandskreisen kursierte. Letztlich habe dann die Veröffentlichung des Protestbriefes im Frühjahr 1939 in der Pariser Exilszeitschrift "Nouvelles d'Autriche" den Ausschlag gegeben, dass das NS-Regime Ude anklagte. Das Urteil fiel indes erstaunlich mild aus und führte "nur" zu einem Gauverweis nach "Oberdonau".
Sohn-Kronthaler forderte, dass Udes einzigartiger Protest in den Geschichtsbüchern seinen Niederschlag finden müsse. Sie erinnerte diesbezüglich an die frühen Forschungen ihres Vorgängers Maximilian Liebmann in den 1980er Jahren.
Zeitzeugen erinnern sich
Weitere Beiträge der Tagung waren der Person und dem persönlichen Werdegang Udes vor und nach dem Krieg gewidmet. So thematisierte Christof Müller, Universitätsassistent am Grazer Kirchengeschichte-Institut, die Lebensjahre Udes zwischen 1939 und 1945, wo dieser in Gößl am Grundlsee als ehrenamtlicher Seelsorger wirkte und große Ausstrahlung besaß. Eine in jenen Jahren verfasste antifaschistische und pazifistische Schrift brachte Ude die Anklage wegen Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung ein, welche eine Haft in Linz und Wels zur Folge hatte. Ude entkam der Todesstrafe, weil ein wohlgesonnener Gestapo-Mann und ein Staatsanwalt das Verfahren verschleppten. Die Befreiung durch die Alliierten 1945 kam dem wohl sicheren Todesurteil zuvor.
Übereinstimmungen und Konflikte Udes mit dem kirchlichen Lehramt zeichnete der Grazer Historiker Reinhard Farkas nach. So war Ude u.a. der bedeutendste Vertreter der katholischen Abstinentenbewegung, die eine strikte Ablehnung von Alkoholismus und Prostitution vertrat und für Vegetarismus und radikalen Pazifismus eintrat. Schwere Konflikte focht Ude u.a. mit dem früheren Grazer Bischof Ferdinand Stanislaus Pawlikowski (1927-1953) aus, der Ude schließlich ein Rede- und Lehrverbot auferlegte. Eine Rehabilitierung erfuhrt Ude erst durch den Nachfolger, Bischof Josef Schoiswohl (1954-1968).
Weitere Beiträge beleuchteten Udes politisches Wirken, seine internationale Strahlkraft sowie seine Impulse für den Tierschutz in Österreich (Prof. Kurt Remele). Der Grazer Sozialethiker Leopold Neuhold würdigte Ude vor dem Hintergrund internationaler Friedens- und Abrüstungsbemühungen.
Als Zeitzeuge sprach u.a. der emeritierte Grazer Liturgiewissenschaftler Philipp Harnoncourt. Er erinnerte sich an Ude als vorbildlichen Liturgen und einfühlsamen Seelsorger und Beichtvater. Ude brachte den beiden Harnoncourt-Brüdern Philipp und Nikolaus (1929-2016), dem bekannten Dirigenten, Latein bei. Philipp Harnoncourt verdankte Ude den wesentlichen Impuls, dass er Theologe und Priester geworden ist. Der emeritierte Linzer Bischof Maximilian Aichern, zuvor Abt vom Benediktinerstift St. Lambrecht, berichtete weiters, dass innerhalb des Konvents unter den Mitbrüdern oftmals von Ude als ehemaliger Schüler und Sängerknabe von St. Lambrecht gesprochen wurde. Durch Ude hörte er erstmals bei einer Begegnung den Namen Franz Jägerstätters.
Eine Publikation der Beiträge des Symposions ist unter dem Veranstaltungstitel "DDDDr. Johannes Ude (1874-1965) - Pazifist - Lebensreformer- Priesterpolitiker. Anstoß damals wie heute?" im Grazer Universitätsverlag im Frühjahr 2019 geplant.
Quelle: Kathpress