Plädoyer für Auszeiten von digitaler Erreichbarkeit
Dem Thema "Mensch und Digitalisierung" war am vergangenen Wochenende das erste "HipHaus-Symposion" im St. Pöltner Bildungshaus St. Hippolyt gewidmet. Der Neurobiologe, Hirnforscher und Buchautor Bernd Hufnagl plädierte dafür, sich von digitalen Geräten nicht beherrschen zu lassen. "Das sind nur Geräte. Wir entscheiden, wie wir mit ihnen umgehen. Nehmen Sie sich bewusst Auszeiten von digitaler Erreichbarkeit", so sein Appell an die Tagungsteilnehmer. Eingangs seines Vortrages sagte er: "Haben Sie auch schon bemerkt, dass Rasenmähen oder andere handwerkliche Tätigkeiten total entspannend sind?" Das menschliche Gehirn benötige dieses Gefühl zur Beruhigung. Und insofern sei die digitalisierte Welt auch keine ideale Rahmenbedingung für Glück, Gesundheit, Motivation und Kreativität.
Aufmerksamkeitsprobleme, Ungeduld und zunehmende Oberflächlichkeit seien Auswirkungen der Digitalisierung auf das Gehirn. Zusätzlich würden Demotivation, Stress und Burnout zu immer verbreiteteren gesundheitlichen Bedrohungsszenarien, so Hufnagl. Dabei seien die Nichtvorhersagbarkeit von Störungen wie Telefonaten, E-Mails und anderen Nachrichten der Hauptgrund für Burnout, Überlastung und Krankheiten. Hufnagl: "Wenn jemand ein neues E-Mail bekommt, erscheint am rechten unteren Bildschirmrand kurz eine Meldung. Die meisten Menschen öffnen dann binnen sieben Sekunden die neue Nachricht und unterbrechen so ihren Arbeitsfluss." Diese Option sollte aus Sicht von Herrn Hufnagl deaktiviert werden.
Hamsterrad der Kommunikation
Die Wiener Soziologin, Kommunikationswissenschaftlerin und Datenbankspezialistin Maren Berka ortete einen ausufernden "Jetztismus" als Grundproblem der Digitalisierung. Sie meinte damit "die zunehmende Anzahl der Kommunikationskanäle, über die Erwartungen aufgebaut werden" und die Menschen in ein "Hamsterrad der Kommunikation" drängen würden. "Jetztismus" heiße, "alles soll jetzt und sofort passieren, beantwortet und umgesetzt werden." Sie persönlich würden an Sonntagen keine elektronische Nachricht und auch kein Telefonanruf erreichen:
Mir reichen die hunderten E-Mails, die ich während der Werktage bekomme. Ich brauche am Sonntag Ruhe.
Prof. Gabriele Sorgo, Pädagogische Anthropologin und Geschlechterforscherin aus Graz, wies in ihrem Vortrag darauf hin, dass die Digitalisierung auch den Menschen schlechthin verändern wird:
Unsere Vorfahren haben sich durch technischen Fortschritt anatomisch nachweislich verändert. Durch die Erfindung des Speers hat sich die Armlänge der Menschen verändert. Durch die Zähmung des Feuers veränderte sich der menschliche Verdauungstrakt und die Gehirnentwicklung. Die Gehirnentwicklung wurzelt auch in der sprachgestützten Zusammenarbeit.
Genauso werde sich menschliche Anatomie und Gehirnstruktur durch Digitalisierung verändern. Durch menschliche Interaktion mit digitalen Geräten würden andere Gehirnareale und Gehirnzellen gemeinsam arbeiten und sich verknüpfen, als beispielsweise beim Lesen eines Buches oder einer Zeitung.
Die Informationstechnik entkulturalisiere Menschen, Daten würden unter dem Begriff "Affektpolitik" gesammelt und ausgewertet, so Sorgo weiter. Affekte seien im Unterschied zu Gefühlen nicht bewusst steuerbare Regungen. Das sogenannte "Neuromarketing" funktioniere deswegen, weil beispielsweise "der Kauf einer Markenware eine Option auf die Zukunft in uns auslöst."
Sorgo: "Alle digitalen Daten unseres Lebens werfen einen sogenannten digitalen Schatten. Dieser Schatten wird natürlich analysiert und ausgewertet." Das lasse letztlich die Frage aufkommen: "Erleben wir derzeit nicht gerade die Etablierung einer globalen digitalen Diktatur?"
Mehr Mut zur Digitalisierung
Der Mathematiker, Philosoph und Obmann der ARGE Daten, Hans Zeger, outete sich als kein Freund der in Österreich weit verbreitete "Digitalisierungsskepsis". Es brauche mehr Mut zur Digitalisierung, so sein Credo. Zeger nahm in seinen Ausführungen vor allem die Arbeitswelt in den Blick. Auch die Erfindung des Staubsaugers habe den Arbeitsverlust von Millionen Dienstnehmern im Reinigungsbereich bedeutet. Durch die Dampfmaschine hätten sich Millionen Arbeitskräfte umorientieren müssen. "Wer das ablehnt soll sich überlegen, ob er tatsächlich die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen der Vergangenheit wieder haben möchte", so der Obmann der ARGE Daten.
Es sei den Menschen hierzulande viel zu wenig bewusst, dass bis zu 1,4 Millionen Arbeitsstellen in Österreich mittelfristig durch Automatisierung ersetzt werden könnten. "Wir haben derzeit aber keine anderen Jobs für diese Leute. Globale Banken wie N26 haben ein paar hundert Mitarbeiter und betreuen damit dutzende Millionen Kunden. Die Zehntausenden Angestellten im Raiffeisen-Bankensektor oder im Erste-Bank-Sektor gibt es hauptsächlich nur noch aus sentimentalen Gründen", so Zeger.
Quelle: kathpress