"Kirche lässt Priester im Regen stehen"
Es ist ruhig geworden um das päpstliche nachsynodale Schreiben "Amoris laetitia", das nach seiner Veröffentlichung im April 2016 heiß diskutiert wurde. Dass die Fragen, die das Schreiben von Papst Franziskus speziell im Blick auf den kirchlichen Umgang mit wiederverheiratet Geschiedenen aufgeworfen hat, damit jedoch nicht zugleich vom Tisch sind, zeigte nun eine Wortmeldung des Wiener Liturgiewissenschaftlers Hans-Jürgen Feulner: So konstatierte er bei einem Podiumsgespräch am Montagabend in Wien eine "Überforderung" der Priester, die sich nach der einzelfallbezogenen Öffnung der Sakramentenspendung auch für Wiederverheiratete nun "im Regen stehen gelassen" fühlten. Es fehle an konkreten Handreichungen, wie "Amoris laetitia" diesbezüglich umzusetzen sei, so Feulner.
In der Fußnote 351 des Dokuments, das in Folge viel Zustimmung aber auch vehementen Einspruch einzelner Bischöfe erfahren hat, heißt es, dass die Kirche Menschen, die in einer "objektiven Situation der Sünde" lebten - also etwa wiederverheiratet Geschiedene - "in gewissen Fällen" auch durch die Spendung der Sakramente beistehen könne. Hier brauche es klare Kriterien, wann dies möglich sein können und wann nicht, so Feulner.
Der Liturgiewissenschaftler äußerte sich im Rahmen der von der Fakultätsvertretung Katholische Theologie an der Universität Wien, den Priesterseminaren der Diözesen Wien, Eisenstadt und St. Pölten und dem Zentrum für Theologiestudierende initiierten Veranstaltungsreihe "Theologie im Gespräch". Der Abend stand unter dem Titel "'Herr bin ich würdig?' - Lebensrealitäten junger ChristInnen im Konflikt mit der katholischen Lehre". Mit Feulner diskutierte unter der Leitung der ORF-Journalistin Kerstin Tretina der Wiener Moraltheologe Gerhard Marschütz.
Feulner mahnte weiters im Blick auf die Liturgie eine größere Sorgfalt und eine Wiederentdeckung der "Ars celebrandi" (Die Kunst der Feier des Gottesdienstes) ein: Ein gewisser Wettbewerb um würdige und zugleich ansprechende Gottesdienstformen schade der Liturgie nicht - solange sich Gottesdienste nicht zu bloßen "Events" wandeln würden, die punktuelle Ereignisse ohne nachhaltige Strahlkraft in den Alltag blieben.
Der Moraltheologe Marschütz kritisierte in der u.a. den Tridentinischen Ritus streifenden Diskussion jene Gottesdienstformen, die - wie die Alte Messe - nicht auf ästhetische Unterschiede zum regulären Römischen Ritus beschränkt werden dürften. Vielmehr drücke sich in diesen Liturgieformen auch eine Form theologischer Weltflucht und eine ablehnende Haltung der vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) forcierten Zuwendung zur Welt aus: "In diesen Liturgien kommt ein negatives Verhältnis zur Welt zum Ausdruck." Aus der "liturgischen Vereindeutigung der Welt" spreche die "Sehnsucht nach klaren Antworten, was richtig und was falsch ist" - dies jedoch stelle eine "Verweigerung der Komplexität der Welt" dar, hielt Marschütz fest.
Insgesamt sprachen sich die beiden Theologen für eine stärkere kirchliche Orientierung an der Lebensrealität der Menschen aus - nur so könne es gelingen, dass Kirche auch bei Fragen der Lebensführung oder der Moral bei jungen Menschen noch Gehör finde. Dies sei schließlich auch das Anliegen, das Papst Franziskus in seiner Lehre verfolge.
Quelle: kathpress