Geschlechterrollen in den Religionen
Ein Ordensmann in traditionell religiöser Kleidung und eine Muslima mit Kopftuch haben mehr gemeinsam als gedacht: beide zeigen ihre Religiosität in der Öffentlichkeit, beide können wegen ihrer religiösen Bedeckung Opfer von Diskriminierung werden. Zu dieser Erkenntnis kamen Fachleute aus Christentum, Judentum und Islam im Rahmen der interreligiösen Studienwoche "Die Rolle des Geschlechts in den drei monotheistischen Religionen", die dieser Tage im kirchlichen Bildungszentrum Schloss Seggau bei Leibnitz stattfand.
Die Dialogplattform, die von der Universitäten Graz und Wien sowie die interreligiös ausgerichtete Kirchliche Pädagogische Hochschule (KPH) Wien/Krems organisiert wurde, bot neben Vorträgen zu geschlechtssensibler Erziehung, Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, Homosexualität oder "LGBTQ", auch persönliche Zeugnisse über das Tragen von Schleier, Kippa oder Ordenstracht.
In der Öffentlichkeit werde meist nur das Kopftuch von Muslimas diskutiert oder gar skandalisiert, die religiöse Bedeckung von Ordensfrauen sei hingegen kaum Teil der Debatte, darauf wies die Grazer Bibelwissenschaftlerin und Initiatorin der Studienwoche, Irmtraud Fischer, im Gespräch mit "Kathpress" hin. In allen drei abrahamitischen Religionen gebe es jedoch unterschiedliche Traditionen in Bezug auf religiöse Körperbedeckungen. Als Beispiel nannte Fischer eine Ordensfrau, die den traditionellen Schleier als Zeichen der Unterordnung von Frauen bewusst ablehne, aber ihre moderate Ordenstracht sehr wohl trägt, was meist nur als "altmodisch gekleidet" wahrgenommen werde. Im Judentum werde derzeit aus Sicherheitsgründen das Tragen der Kippa in der Öffentlichkeit diskutiert, aber auch das Tragen dieser traditionell männlichen Kopfbedeckung durch Frauen, etwa durch Rabbinerinnen.
Im Zentrum der Studienwoche standen auch Fakten und Zahlen zu "LGBTQ-Menschen" und historische und aktuelle Entwicklungen der Geschlechterrollen. In einer Zeit, die aktuell von einer sogenannten "Genderismus-" und Kopftuch-Debatte aufgeladen sei, werde dieses Wissen um Zusammenhänge und Hintergründe immer wichtiger, betonte die Grazer Theologin.
Die Auseinandersetzung mit den drei Religionen habe gezeigt, dass es keine "monolithische" Religion gebe, betonte Fischer. Sowohl das Christentum, als auch das Judentum und der Islam besitzen bereits Traditionen, die neue Möglichkeiten im Umgang mit Frauen und Geschlechterrollen ermöglichen. Diese stehen oft sogar gegen aktuell als "die Tradition" hochstilisierte Strömungen. Eine Aktualisierung der Heiligen Schriften in Bezug auf Geschlechterrollen- und -gerechtigkeit sei darum dringend notwendig, plädierte Fischer.
Die Veranstaltung, die in der Tradition der christlich-jüdischen Bibelwochen stand, bot den 70 Teilnehmern Vorträge, persönliche Stellungnahmen und Diskussionen. Die interreligiöse Dialogveranstaltung findet voraussichtlich wieder im Juli 2021 statt. Als Themen sind "Kunst" oder der Themenkomplex von "Essen und Fasten" im Gespräch.
Quelle: kathpress