Bischof: Dammbruch in Brasilien war "Verbrechen" mit EU-Beteiligung
Kirchenvertreter und Aktivisten aus Südamerika und Asien warnen vor den verheerenden Folgen des weltweiten übermäßigen Rohstoffverbrauchs. Der Abbau von Metallen in Entwicklungsländern findet immer zügelloser statt, bei oft schweren Verletzungen der Menschenrechte und Schädigungen der Umwelt, wie jetzt bei einem Hintergrundgespräch in Wien auf Einladung der Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar, der Umweltorganisation Global 2000 und weiterer Partner-NGOs der "AG Rohstoffe" deutlich wurde. Der brasilianische Bischof Vicente de Paula Ferreira (49) mahnte dabei schärfere Kontrollen für internationale Konzerne durch die Politik ein.
De Paula ist als Weihbischof von Belo Horizonte für die brasilianische Kleinstadt Brumadinho zuständig, in der am 25. Jänner 2019 der Staudamm des Rückhaltebeckens einer Eisenerzmine brach. 272 Menschen wurden von einer sich durch das Tal wälzenden Schlammmasse begraben. Der Betreiber Vale - weltweit drittgrößter Bergbaukonzern und 139. größtes Unternehmen laut Forbes - hatte den Damm nicht ausreichend gesichert. "Man wusste, dass es ein Risiko gibt, hat jedoch nichts getan", so der Bischof, der von einem "Verbrechen" mit europäischer Beteiligung sprach: Schließlich sei die Anlage Monate vor dem Unglück vom deutschen Zertifizierungsunternehmen TÜV Süd als sicher eingestuft worden.
Auch ein Jahr nach dem Unglück habe bisher niemand die Verantwortung übernommen, beklagte Bischof De Paula Ferreira, der mittlerweile zeitweise in Brumadinho wohnt. Erst vor wenigen Wochen klagte die brasilianische Justiz mehrere Mitarbeiter von TÜV Süd sowie von Vale wegen Mordes an, wobei das Verfahren noch läuft. Vor Ort sei der Minenbetrieb selbst unmittelbar nach dem Unglück nie unterbrochen worden und der Vale-Konzern dominiere weiter das Geschehen in der Region. Ganz im Kontrast dazu präsentiere sich die Situation der Menschen, berichtete der Bischof:
Viele haben Familienmitglieder und alles Hab und Gut verloren, und auch die Umwelt bleibt stark geschädigt. Brumadinho befindet sich weiter in Trauer.
Sehr zum Missfallen des Minenbetreibers und auch der Regionalpolitik, verstehe sich die katholische Kirche Brasiliens als Anwalt der Opfer, erklärte De Paula, der dem Redemptoristenorden angehört. Kirchliche Initiativen in Brumadinho seien darum bemüht, die Stimmen der Betroffenen zu vereinigen und deren Rechte zu stärken, u.a. durch Trauerfeiern, die weiterhin am 25. eines jeden Monats zur Unglückszeit um 12.28 Uhr stattfinden. "Bei diesen kann man oft sein eigenes Wort nicht hören, aufgrund des Lärms der vorbeifahrenden Minen-LKWs. Nicht einmal hier kommt uns der Konzern entgegen", klagte der Bischof.
Brasilien eine "Kolonie des Kapitals"
Dass das Problem weit über Brumadinho hinausgeht, betonte bei dem Wiener Pressegespräch Frei Rodrigo Peret von der brasilianischen Landpastoral CPT. "Die Tragödie wird sich wiederholen. Allein im Bundesstaat Minas Gerais gibt es 40 gleichartige Dämme, die meisten ebenfalls vom Betreiber Vale. Einer davon, Mariana, brach 2015, wobei 19 Menschen starben und der Schlamm 600 Kilometern weit floss. Das Risiko ist Alltag", warnte der Franziskaner. Scharf kritisierte Peret den enormen Einfluss der Konzerne auf Gesetzgebung, Justiz und Exekutive:
Die Politik macht sich wegen der erhofften Steuern zum Spielball der Minenbetreiber, die ganze Landstriche umgestalten und alles von sich abhängig machen, wobei die Gewinne aber stets das Land verlassen. Brasilien ist eine Kolonie des Kapitals.
Auf Bundesebene Brasiliens stehen die Anzeichen für eine Verbesserung derzeit schlecht: Sukzessiv wurden seit 2016 Schutzgesetze für die Umwelt oder Menschenrechte gelockert und die Zivilgesellschaft in ihren Möglichkeiten der Teilnahme beschnitten. Die Kirche steuere dieser Entwicklung entgegen und nehme eine "prophetische Stimme" zugunsten der Menschen und der Natur ein, betonte Bischof De Paula Ferreira. In der Bischofskonferenz gebe es bereits eine eigene Kommission zur Begleitung der Familien in Konfliktgebieten, zudem fördere man die Vernetzung der Akteure.
Rückenstärkung durch den Papst Das kürzlich erschienene Schreiben "Querida Amazonia" von Papst Franziskus sei für diesen Einsatz eine immens wichtige Unterstützung, betonte der Bischof, denn: "Die Minenbetreiber dringen immer weiter in Richtung Amazonien vor und bedrohen damit dessen Biodiversität wie auch den kulturellen Reichtum der dortigen Völker." Franziskus habe damit die ganze Welt dazu aufgerufen, den Planeten als "gemeinsames Haus" zu schützen und dabei insbesondere gegenüber Amazonien und dessen Bewohner "Geschwisterlichkeit" zu zeigen.
Freude über die Unterstützung durch das Papst-Dokument äußerte auch der kolumbianische Umweltaktivist Yefferson Rojas Arango, der bei dem Hintergrundgespräch über den langjährigen und erfolgreichen Widerstand gegen den Konzern Anglogold Ashanti berichtete. "Für ein Gramm Gold muss derzeit eine Tonne Geröll entfernt werden", veranschaulichte der Gründer des Jugendkollektivs "Cosajuca" die einschneidenden Folgen des Abbaus für Vegetation, Landschaft und auch die Menschen vor Ort. In der kolumbianischen Gemeinde Cajamarca gelang es durch Mobilisierung und Sensibilisierung, die Errichtung einer Goldmine trotz schon vergebener Schürfrechte zu verhindern.
Hoffnungen auf Rohstoffstrategie
Angesichts der verheerenden Folgen der Ressourcenextraktion in den Abbauländern muss sich die internationale, europäische und auch österreichische Rohstoffpolitik dringend ändern, so das gemeinsame Anliegen von acht österreichischen NGOs, die als "AG Rohstoffe" ein gemeinsames Positionspapier vorgelegt haben. Für die von der Bundesregierung angekündigten Überarbeitung der Rohstoffstrategie hoffe man, dass diese ökologische und soziale Standards stärker berücksichtigen werde, erklärte Lena Steger von Global 2000. Österreich spiele schließlich im Verhältnis zu seiner Größe eine "überproportional wichtige Rolle im extraktiven Rohstoffsektor" und weise einen enorm hohen Pro-Kopf-Rohstoffverbrauch auf. Wie Rojas Arango ergänzte, seien auch Maßnahmen zur Wiederverwendung der Rohmaterialien von hoher Bedeutung. (Infos: www.dka.at, www.global2000.at)
Quelle: kathpress