Missbrauch & Prävention
Neuer Leitfaden durch Dickicht des kirchlichen Sexualstrafrechts
Missbrauch & Prävention
Neuer Leitfaden durch Dickicht des kirchlichen Sexualstrafrechts
Der Vatikan hat einen lange erwarteten Leitfaden zum juristischen Umgang mit Missbrauchsfällen veröffentlicht. Das "Vademecum" der Glaubenskongregation soll Mitarbeiter der kirchlichen Rechtspflege Schritt für Schritt durch die nötigen Maßnahmen bei sexuellen Vergehen von Klerikern an Minderjährigen führen. An der Gesetzeslage ändert sich nichts. Allein die Publikation einer solchen Hilfestellung zeigt derweil, dass der Vatikan die interne strafrechtliche Aufarbeitung erst nimmt - und dass es vielerorts in der katholischen Welt an kirchenrechtlichem Fachwissen, funktionierenden Gerichten und wohl auch Motivation fehlt.
Der Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Luis Ladaria, sprach in einer schriftlichen Erläuterung von einer "Gebrauchsanweisung" - man wolle diejenigen an die Hand nehmen, die Missbrauchsfälle zu bearbeiten hätten, vom ersten Hinweis auf eine mögliche Straftat bis zum Abschluss des Falls. In neun Schritten und 164 Einzelpunkten geht es durch den Stoff, untergliedert durch Fragen wie "Was sind Sicherungsmaßnahmen?" oder "Was macht man bei einem Einspruch gegen ein Strafdekret?".
Das Vademecum, von Papst Franziskus im Februar 2019 angekündigt, erklärt das geltende Kirchenstrafrecht für sexuellen Missbrauch in einer für Nicht-Experten verständlicheren Sprache - was nicht heißt, dass es eine leichte Lektüre ist. Im Blick sind professionelle Kirchenrechtsanwender wie Anwälte oder Assessoren an Diözesangerichten, aber auch Bischöfe und Ordensobere, die in der Materie nicht ganz sattelfest sind. Dabei ist auch an Kirchenregionen zu denken, in denen das Personal nicht über jenes Ausbildungsniveau verfügt, das man in den meisten europäischen Ländern erwarten darf.
Auf der gleichen Linie liegt, dass der Vatikan im März eine "Task Force" ins Leben rief, die nationale Bischofskonferenzen beim Erstellen von Kinderschutz-Leitlinien unterstützen soll. Auch diese Beratergruppe aus Kirchenrechtlern, Psychologen und anderen Experten entstand aus der Einsicht, dass manche Bischofskonferenzen mit der Umsetzung der vatikanischen Vorgaben schlichtweg überfordert sind.
Wer immer mit einem Fall sexuellen Missbrauchs betraut ist, soll nun mit dem Vademecum durch die Verfahrensschritte und Instanzen gelotst werden - das "Dickicht der Normen und der Praxis", wie Kardinal Ladaria schreibt. Hauptbezugspunkte sind die einschlägigen päpstlichen Erlasse "Sacramentorum sanctitatis tutela" (2001/2010) und "Vos estis lux mundi" (2019), aber auch die Gepflogenheiten der Glaubenskongregation - sie ist für die kirchenstrafrechtliche Aufarbeitung von Missbrauchsdelikten zuständig, arbeitet darin eng mit Diözesangerichten weltweit zusammen und kann also hoffen, sich mit der Handreichung auch selbst die Arbeit zu erleichtern.
Das Kirchenrecht kennt unterschiedliche Antworten auf sexuellen Missbrauch durch Kleriker - neben dem eigentlichen gerichtlichen Strafverfahren unter Einbindung der Glaubenskongregation auch eine Art Disziplinarverfahren und einen Sondermodus für offenkundige Fälle, die direkt dem Papst vorgelegt werden. Besonderen Raum in der Handreichung bekommen indessen die Voruntersuchung (die dem staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren weltlichen Rechts entspricht) und ein außergerichtliches Verwaltungsverfahren - dieses bietet Vorteile in Ländern, in denen kirchliche Gerichtsstrukturen nicht besonders ausgeprägt sind.
Mit den Leitlinien der nationalen Bischofskonferenzen zum Thema Missbrauch hat das Vademecum nichts zu tun: Diese Rahmenordnungen, wie sie etwa in Österreich seit 2010 und mittlerweile in aktualisierter Form in Kraft sind, nennen beispielsweise Anlaufstellen für Verdachtsmeldungen und klären die Zusammenarbeit mit der staatlichen Justiz. Aus solchen Fragen hält sich die Glaubenskongregation heraus.
Ebenso unberücksichtigt bleibt im Vademecum das Vorgehen bei Vertuschung und anderen Amtspflichtverletzungen durch Bischöfe oder Ordensobere. Solche Verfahren sind bei anderen Kurienbehörden als jener von Ladaria angesiedelt. Der Kardinal unterstrich auch, dass das Vademecum laufend angepasst werden soll. Wie es aus der Kurie heißt, ist im nächsten Jahr eine Neufassung des Erlasses "Sacramentorum sanctitatis tutela" zu erwarten.
Quelle: Kathpress