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Psychiater: Sterbehilfe lädt ein, 'letzte Krise nicht zu bewältigen'
Bild von truthseeker08 auf Pixabay

Psychiater: Sterbehilfe lädt ein, "letzte Krise nicht zu bewältigen"

Grazer Primar Lehofer im "Profil": Sterbehilfe befördert Vorstellung, das Leben sei nur "jung und fit" lebenswert

28.09.2020

Im Zuge der derzeitigen Prüfung einer Lockerung des Verbots von Suizidbeihilfe und aktiver Sterbehilfe durch den Verfassungsgerichtshof haben prominente Ärzte vor diesem Schritt gewarnt und sich für eine Beibehaltung der derzeitigen Regelung ausgesprochen. "Wenn man die Selbsttötung freigibt, öffnet man ein Tor, das Menschen einlädt, diese letzte Krise ihres Lebens nicht zu bewältigen", sagte der Grazer Primarius Michael Lehofer im Interview mit dem "profil" (aktuelle Ausgabe). Als Psychiater sei er überzeugt, "dass Krisenbewältigung der einzige Weg in die Freiheit ist, gleichermaßen während des Lebens und am Ende des Lebens". Gleichzeitig sei es jedoch auch notwendig, "Menschen adäquat zu begleiten und auf manche lebensverlängernden Maßnahmen zu verzichten", so der Psychiater.

 

Warnend äußerte sich Lehofer gegenüber der Praxis, immer alle Möglichkeiten der modernen Medizin auszunützen. Dies könne im konkreten Fall unethisch sein - ebenso wie jedoch das Umgekehrte, sie nicht anzuwenden. "Die moderne Medizin 'produziert' Schicksale, die nicht besonders lebenswert sind - wenn etwa Menschen reanimiert werden, die nahe am Hirntod sind und nur mehr minimale Hirnleistung haben. Das sind natürlich katastrophale Dilemmata. Nichtsdestotrotz soll die Medizin nicht immer alles machen, was sie technisch machen kann, weil sie sonst maschinell und unmenschlich wird", warnte der Psychiater. Ärzte sollten "Ärzte bleiben und den ganzen Menschen im Blick haben", nicht nur an das technisch Machbare denken.

 

Als "große Gefahr an der Sterbehilfe" bezeichnete es Lehofer, "dass sie der Vorstellung Vorschub leistet, dass ein Leben nur lebenswert ist, wenn man jung und fit ist". Vom Konzept, wonach Menschen während ihres Lebens eine bestimmte Grenze festlegen, ab dem sie ihr Leben nicht mehr als lebenswert halten, halte er wenig. "Aus meiner Sicht ist es vorteilhaft, das Konzept zu verwerfen und sich immer wieder dem Neuen im Leben zu stellen, auch wenn es mit Leid verbunden ist, denn Brüche im Leben können wertvoll sein." Freilich gebe es "Grenzfälle", etwa wenn Menschen sich sicher seien, ihr Leiden zu Ende gelebt zu haben und einfach nicht mehr wollen. Lehofer: "Aber wer will das entscheiden? Insofern denke ich: Eine gewisse Restriktion, sich selbst zu töten, ist besser als die Erlaubnis. Denn mit der Erlaubnis nehmen wir zu viele Nachteile in Kauf."

 

Statt mit einer Liberalisierung die "Büchse der Pandora" zu öffnen und wie in anderen Staaten eine "unappetitliche Geschäftemacherei mit dem Tod" zu erlauben, sollte man besser das bestehende Sterbehilfe-Verbot belassen - und in bestimmten Situationen, wo die Angelegenheit nachvollziehbar ist, "milde im Urteil" sein, befand Lehofer. Der Intensivmediziner gab an, er habe einmal einen Freund begleitet, der im mittleren Lebensalter todkrank gewesen sei, lange verzweifelt um sein Leben gekämpft habe und dann erschöpft gewesen sei. "Ich habe ihn ermutigt, seine Situation zu akzeptieren. Dann war er erlöst, und er bat mich, ihm sterben zu helfen. Ich habe ihm nicht geholfen", so Lehofer. Der Freund habe dann jedoch innerhalb von 14 Tagen selbst sterben können.

 

Veränderlicher Todeswunsch

 

"Der Wunsch zu sterben ist meist keine endgültige Entscheidung, sondern fluktuiert als Ausdruck von Angst und Ambivalenz stark", erklärte Christa Rados, Past Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, in der "Kleinen Zeitung" (Freitag). Psychiater seien im Berufsalltag häufig mit Todeswünschen konfrontiert und sähen einen hohen Bedarf an Hilfsangeboten für Menschen in suizidalen Krisen. "Todeswünsche können auch bei körperlich Kranken Ausdruck einer Depression sein, die sich durch Behandlung bessert. Der Wunsch nach Suizidhilfe entsteht meist aus der Angst vor dem Ausgeliefertsein - vor unbeherrschbaren Schmerzen, vor dem Ersticken und der Einsamkeit." Bereits durch die Vermittlung der Möglichkeiten palliativer Medizin relativiere sich dieser Wunsch oft.

 

Rados verwies darauf, dass in Ländern mit liberaler Sterbehilfe-Regelung wie Belgien und den Niederlanden die geforderten Kriterien der "Unerträglichkeit des Leidens" und der "fehlenden Aussicht auf Besserung" stark von äußeren Einflüssen abhängig seien. Sogar Arbeitslosigkeit, Partnerlosigkeit, finanzielle Probleme und Einsamkeit würden dabei als Gründe angegeben - "Probleme, auf welche die Erfüllung des Todeswunsches kaum die adäquate Antwort eines hochentwickelten Staatswesens sein kann", betonte die Psychiaterin und Primarin am Landeskrankenhaus Villach.

 

Aufgabe von Ärzten sei es, Menschen bei der Überwindung von Lebenskrisen zu unterstützen, nicht aber die Hilfe bei der Umsetzung von Sterbewünschen. Deshalb lehne auch die Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik eine Änderung der gesetzlichen Situation zur Suizidhilfe in Österreich ab. "Wir vermissen in der Diskussion ein psychiatrisch-psychotherapeutisches Verständnis für Menschen in Krisensituationen", so Rados.

 

Palliativmediziner: Unnötige Polarisierung

 

Auf die im Ärztegesetz festgeschriebene Beistandspflicht zur Wahrung und Würde von Sterbenden verwies der Präsident der Palliativgesellschaft, Prim. Rudolf Likar, in der "Kronenzeitung" (Sonntag). Die in der Pallativmedizin tätigen Berufsgruppen verfügten heute bereits über eine breite Palette von Möglichkeiten, um schwer kranke Menschen zu unterstützen und deren Leiden zu lindern, so der Vorstand der Abteilung für Intensivmedizin am Klinikum Klagenfurt, der sich ebenfalls klar für eine Beibehaltung des Status Quo aussprach.

 

Dass in der aktuellen Debatte das Bild vermittelt werde, ein würdiges und autonomes Lebensende sei nur auf dem Weg des assistierten Suizids oder der Euthanasie möglich sei, bedauerte Likar: "Solche Fehlinformationen polarisieren in unnötiger Weise. In unserer täglichen Praxis erfahren wir, dass Menschen trotz schwerer Erkrankungen sehr gerne leben - und dass viele Vorstellungen schlichtweg nicht zutreffen, die gesunde Menschen von schweren Erkrankungen haben." Werde von Befürwortern einer Liberalisierung die Furcht vor unkontrollierbaren Schmerzen ins Treffen geführt, so könne man diesem Argument die zahlreichen Möglichkeiten einer sehr "effektiven Schmerzbekämpfung oder Linderung anderer belastender Symptome wie Atemnot, Angstzustände oder Unruhe" entgegenhalten. Diese reichten bis zur palliativen Sedierungstherapie.

 

ORF-Fernsehdiskussion

 

Befürworter und Gegner einer gesetzlichen Änderung bei Sterbehilfe kamen auch am Sonntagabend in der TV-Sendung "Im Zentrum" nochmals zu Wort. Zum Thema "Mein Leben - Mein Tod: Der schmale Grat beim Thema Sterbehilfe" diskutierte auf ORF 2 als Vertreter einer Liberalisierung Wolfram Proksch, der Anwalt der Antragsteller des derzeit beim Verfassungsgerichtshofes anhängigen Verfahrens. Seine Position wurde unterstützt von der Ärztin Erika Preisig vom Schweizer Verein "lifecircle" und von Marcela Selinger. Beide sprachen davon, dass die bloße Möglichkeit von Sterbehilfe wie ein "Notausgang" sei, den man im konkreten Fall nicht öffnen müsse, der aber durch sein Vorhandensein ein selbstbestimmtes Leben und Sterben ermögliche.

 

Gegen diese Sicht und für die Beibehaltung der geltenden Rechtslage sprach sich der Leiter der Palliativmedizin am Wiener AKH, Prof. Herbert Watzke, aus. Das Recht von Patienten, eine Behandlung abzubrechen oder erst gar nicht zu beginnen, ermögliche in Verbindung mit einer inzwischen sehr guten pallitivmedizinischen Behandlung ein menschenwürdiges Sterben. Der Präsident des Österreichischen Behindertenrates, Herbert Pichler, warnte vor dem "Öffnen der Büchse der Pandora" und verwies auf negativen Entwicklungen bei der aktiven Sterbehilfe in Belgien und den Niederlanden.

 

Die Juristin Stephanie Merckens, die der Bioethikkommission des Bundeskanzleramts angehört, ortete keinen Änderungsbedarf bei den geltenden strafrechtlichen Bestimmungen. Tatsächlich hätten schon jetzt die Richter die Möglichkeit, auf Dilemmasituationen von Personen im Fall der Suizidbeihilfe einzugehen. So landeten jährlich nur ganz wenige Fälle vor Gericht, und im Einzelfall könne man das Strafmaß von fünf Jahren Haft sogar bis auf eine bedingte Geldstrafe mildern. Der in Österreich geltende Grundsatz "Ja zur Patientenautonomie, aber Nein zum Töten" müsse daher beibehalten werden, so Merckens.

 

Hospiz-Verband warnt vor Legalisierung

 

Der Kärntner Hospizverband, der von Diakonie, Caritas und Rotem Kreuz getragen wird, warnte in einer Aussendung vom Wochenende vor absehbarem Missbrauch der Sterbehilfe. Bei einer Lockerung des Verbots von Tötung auf Verlangen oder assistiertem Suizid bestehe die Gefahr höheren gesellschaftlichen Drucks auf ältere, pflegebedürftige und beeinträchtigte Menschen, solche Angebote in Anspruch zu nehmen, warnte der Präsidiums-Vorsitzende Ernst Sandriesser, zugleich Kärntner Caritas-Direktor. "Niemand sollte sich für ein Angewiesensein auf Pflege und Unterstützung rechtfertigen müssen." Auch ein ethisches Dilemma für Ärzte und Pflegekräfte sei absehbar, sofern Menschen die Verfügungsgewalt über die Beendigung des Lebens anderer Menschen zugesprochen werde: "Die Tötung auf Verlangen widerspricht dem Berufsethos und würde das Vertrauensverhältnis zwischen Patienten, Ärzten und Pflegekräften nachhaltig beeinträchtigen", so Sandriesser.

 

Die Diskussion fordere zu einem noch stärkeren Einsatz für den Ausbau der stationären und mobilen Palliativversorgung heraus; niemand solle einsam und unbegleitet sterben müssen, erklärte Diakonie-Rektor Hubert Stotter in der Aussendung. "Aus der praktischen Arbeit mit schwerkranken Patienten wissen wir, dass ein Todeswunsch vielfach schwindet, wenn die betroffenen Menschen wirksame Linderung und Entlastung erfahren." Auf Nöte und Bedürfnisse wie "physische, psychische und spirituelle Schmerzen, Vereinsamung und Erhalt der Entscheidungsfreiheit" der Menschen und ihres Umfeldes müsse konkret eingegangen werden, denn, so Stotters Beobachtung: "Oft ist die Not der Angehörigen bzw. des sozialen Umfelds größer als die Not der Patienten selbst."

 

Gezielte Unterstützung von Angehörigen könne auch Patienten spürbar entlasten, so die Erfahrung von Peter Ambrozy, Präsident des Roten Kreuzes in Kärnten. Qualifizierte multiprofessionelle Hospiz-und Palliativbetreuung und -begleitung seien daher notwendig und sicherzustellen, so der frühere Kärntner Landeshauptmann (SPÖ). Eine Integration von Grundwissen und Grundhaltung zu Hospiz und Palliative Care müsse in alle Bereiche der Grundversorgung gewährleistet sein. Auch brauche es Beratung und Information von Betroffenen, ihren Angehörigen und Vertrauenspersonen.

 

Familien entlasten

 

Ähnlich forderte auch die Katholische Aktion (KA) Eisenstadt am Wochenende einen Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung, betonte das "Recht auf Leben bis zum natürlichen Tod" und lehnte eine Legalisierung der Tötung auf Verlangen sowie der assistierten Suizidbeihilfe entschieden ab. Wichtig sei die Entlastung von Familien, damit sie sich um ihre Angehörigen kümmern könnten, sowie Unterstützung von Organisationen, die Menschen beraten begleiten und Gemeinschaft anbieten. "Bei existenziellen Entscheidungen am Lebensende handelt es sich um Gewissensentscheidungen, die mit Respekt zu behandeln sind. Daher soll es Ziel sein, den Schmerzen ein Ende zu bereiten und nicht dem Leben", bekräftigte die burgenländische KA ihre Unterstützung für den bisherigen "österreichischen Konsens".

 

Quelle: Kathpress

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