Turnovszky: Aktive Sterbehilfe kein Akt der Barmherzigkeit
Ausdrücklich für die Beibehaltung der aktuellen gesetzlichen Regelung zur Sterbehilfe hat sich der Wiener Weihbischof Stephan Turnovszky ausgesprochen. Befürworter einer Aufhebung des Verbots von assistiertem Suizid und aktiver Sterbehilfe - welche Österreichs Verfassungsrichter derzeit diskutieren - würden "mit dem Stichwort Barmherzigkeit Schindluder treiben", wenn sie mit einem Recht auf den freien Willen argumentierten. "Barmherzig ist einer, der sich das Wohl des anderen etwas kosten lässt, nicht einer, der am Tod des anderen verdient", stellte der Bischof in einem Gastbeitrag für die Niederösterreichischen Nachrichten (NÖN, Mittwoch) klar.
Als problematisch bezeichnete es Turnovszky, dass das Sterben in der Gesellschaft oft verdrängt und von manchen einfach an Profis abgegeben werde: Die Kommerzialisierung dieses Bereichs und eben auch die Forderungen einer Straffreistellung der Suizidbeihilfe seien Folgen davon, so der Bischof. Dass es "unermesslich leidende und einsame Menschen" gebe, sei ihm freilich bewusst, die Antwort auf ihre Situation müsse aber eine andere sein, nämlich "menschliche Zuwendung" und "Begegnung mit Aufmerksamkeit, Nähe und Zeit". Darin müsste die Gesellschaft verstärkt investieren. Turnovszky:
Genesene Kranke erzählen, dass sie sich genau das in ihren dunklen Stunden gewünscht haben: einen Menschen an ihrer Seite, der ihnen die Hand hält, der einfach da ist und die Zuversicht stärkt.
Zwar sei es viel "anspruchsvoller, Krankheit, Schmerzen und den Tod von lieben Menschen mitzuerleiden, als wegzuschauen oder beim Suizid zu assistieren", befand der Weihbischof. Eine engagierte Begleitung mache die begleitende Person selbst jedoch auch "nachhaltig glücklicher", bekomme man in diesen "unverfügbaren Stunden" doch "unvergessliche Nähe geschenkt, für die viele den Rest ihres Lebens dankbar bleiben". Turnovszky würdigte an dieser Stelle den selbstlosen Einsatz vieler Menschen in der Pflege Angehöriger, sowie auch Ärzte und Pflegepersonen, die ihren Dienst besonders einfühlsam verrichten: "Das ist der Boden für eine wahrhaft menschliche Welt, in der der Tod nicht verdrängt wird, sondern ein angenommener Teil des Lebens ist", so der Bischof.
Jesuit: "Neoliberales Projekt"
Ebenfalls vor aktiver Sterbehilfe gewarnt hat in der Tiroler Tageszeitung (Mittwoch) der Rektor des Jesuitenkollegs in Innsbruck, P. Christian Marte. Zwar seien die etwa in den Niederlanden geltenden liberalen Regeln "attraktiv und passen zu unserem Lebensgefühl", doch sei die Entscheidung über den Zeitpunkt und die Art des eigenen Todes nur ein "Modell für die Reichen und Gesunden" und "letztlich ein neoliberales Projekt", bemerkte der Jesuit in seinem Gastkommentar. Schließlich gelte dabei:
Wertvoll ist, wer leistungsfähig und ein guter Konsument ist. Den Alten und Kranken wird klargemacht: Sie belasten die anderen, auch ökonomisch.
"Wenn wir als Gesellschaft die Tötung von Kranken erlauben, dann wird das ein Geschäftsmodell. Und im Gesundheitswesen wird es nur ums Einsparen hoher Kosten gehen", mahnte der Ordensmann. Statt neue Gesetze für das Sterben einzuführen, seien "Solidarität mit den Kranken und Sterbenden, eine gute Palliativversorgung und gute Hospize" notwendig, so Marte, der mit dem in diesen Tagen vielzitierten Wort von Kardinal Franz König (1905-2004) schloss: "Menschen sollen an der Hand eines anderen Menschen sterben und nicht durch die Hand eines anderen Menschen." Behutsamkeit, Mitgefühl und Zurückhaltung seien gegenüber Sterbenden sowie auch beim Suizid wichtig, sowie "besser wenig reden und nur da sein", so Marte.
Gesellschaft am Scheideweg
Auf ökonomische Aspekte der aktuellen Debatte hatte zuvor der Moraltheologe Günter Virt in den Salzburger Nachrichten (SN, Samstag) verwiesen. Österreich sollte eine klare Richtungsentscheidung treffen, wofür man Geld ausgeben wolle, riet der langjährige Ethikberater der EU-Kommission. Ebenso wie schon bei der Parlamentsenquete von 2015 viele Experten einhellig darauf gedrängt hätten, die Palliativversorgung und die vielfältigen Hospizinitiativen zur Sterbebegleitung ausreichend finanziell abzusichern und die vorhandenen Defizite zu beseitigen, wäre auch bei der vor Gericht verhandelten Beihilfe zum Suizid nicht wenig Geld im Spiel.
Vor einer Lockerung des Verbots müssten auch die Folgewirkungen für die Ärzteschaft in den Blick genommen werden. "Es wird immer einzelne Mediziner geben, die das machen. Der Großteil wäre aber enorm verunsichert. Das Ethos der Ärzte, auf das man sich in der bisherigen Geschichte (mit wenigen Ausnahmen vor allem in der NS-Zeit) verlassen konnte, zielte immer darauf ab, dem Leben zu dienen, zur Heilung beizutragen, Schmerzen zu lindern und Lebensqualität zu verbessern. Diese Ärzte würden in nicht zumutbare Entscheidungssituationen geraten", so Virt.
Kirche trägt "schreckliche Last"
Der Gesellschaft stehe beim Thema Suizid noch ein Lernprozess bevor, wie ihn auch die katholische Kirche vollzogen habe, sagte der Theologe: Dass in früheren Zeiten Menschen nach einem Suizid wegen ihrer "vermeintlichen Sündhaftigkeit" nicht einmal beerdigt worden seien, sei eine "schreckliche Last der Tradition" der Kirche. Diese habe jedoch von den Humanwissenschaften gelernt, spätestens seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965): Die Soziologie habe inzwischen klar aufgezeigt, dass Suizid meist unter psychischen Zwängen geschehe und "ein soziales Geschehen mit sozialen Ursachen und sozialen Folgen" sei. Nie geschehe Suizid im "luftleeren Raum", was die Autonomie und Selbstbestimmung als Argument für Sterbehilfe infrage stelle.
Das Plädoyer des Theologen, der auch der Bioethikkommission im Bundeskanzleramt angehört: Eine Beibehaltung der aktuellen Rechtslage, sowie verstärkte Zuwendung zu Menschen in Einsamkeit und seelischen Notsituationen, denen es Alternativen zum Suizid aufzuzeigen gelte. "Wir müssen die physischen, psychischen, sozialen und auch spirituellen Leiden der Menschen lindern", so der Experte. Um wieder das Sterben zuhause zu ermöglichen, sollten Familien von Sterbenden zudem besser unterstützt werden, finanziell wie auch mit sehr guter professioneller Hilfe.
Niederlande: "Sterbehilfe war Fehler"
Am Freitag und Samstag finden im Salzburger Kongresshaus Bioethik-Dialoge zum Thema "Modernes Sterben - Aufgaben und Grenzen der Medizin am Lebensende" statt, bei der neben Virt u.a. auch der Medizinethiker Theo Boer, der als Gutachter in den Niederlanden neun Jahre lang insgesamt 4.000 Sterbehilfe-Fälle prüfte, referieren wird. In der Tageszeitung "Die Presse" (Samstag) warnte der Experte Österreich eindringlich davor, den Weg seines Heimatlandes einzuschlagen: "Hätte man gewusst, wie sich das entwickelt, hätten sich viele ein paar Mal hinter den Ohren gekratzt. Und hätten wir damals die heutige Palliativmedizin gehabt, hätten wir die Sterbehilfe womöglich nie legalisiert." Heute wäre aktive Sterbehilfe nicht mehr nötig.
Er selbst habe es als "gelungenen Kompromiss" empfunden, als die Niederlande 2001 erstmals weltweit die aktive Sterbehilfe legalisierte, sagte Boer, und bekannte: "Heute, da ich die Wirkung kenne, glaube ich, es war ein Fehler." Trotz des "weltweit besten Kontrollsystems" habe man die Zahlen nicht mehr im Griff, gingen doch in manchen holländischen Stadtteilen mittlerweile bereits bis zu 14 Prozent der Todesfälle auf aktive Sterbehilfe zurück. "Anfangs ging es um eine Entscheidung zwischen Sterben und Sterben, das Wie. Daraus wurde immer mehr die Entscheidung zwischen Leben und Sterben", so der Ethiker, und nannte hier als Beispiel: "Ein Erblindeter sagte, wenn ich nicht mehr sehen kann, ist für mich Feierabend. Obwohl die Familie sagte, geht doch, versuch es."
Über die Situation der niederländischen Ärzte berichtete Boer, immer mehr würden es ablehnen, Sterbehilfe durchzuführen, und auch unter den Psychiatern gebe es "immer mehr Totalverweigerer". Die meisten Fälle werden daher heute vom "Kompetenzzentrum Euthanasie" durchgeführt, das 2017 eigentlich als Lückenfüller eröffnet wurde für Patienten, deren Sterbehilfe-Ansuchen der Arzt abgelehnt hatte. Hausärzte bekämen für geleistete Sterbehilfe laut Boer rund 280 Euro, da dies in deren normale Arzttätigkeit falle. Mediziner im Kompetenzzentrum erhielten für die Durchführung mehr als das Siebenfache.
Rat zur "Grauzone"
Kompromisse zwischen "Lebens- und Sterbehilfe" seien bisher in keinem Land dauerhaft respektiert worden und anfangs restriktive Gesetze im Lauf der Jahre immer weiter aufgeweicht worden, betonte der Medizinethiker. "Kaum ist es legalisiert, gehen Befürworter vor Gericht, das sei ungerecht, grenze etwa psychiatrische Patienten und chronisch Kranke aus." Mittlerweile würden 56 Prozent der Menschen mit Sterbehilfe-Wunsch als Grund Einsamkeit, 42 Prozent die Sorge, anderen Menschen zur Last zu fallen und 36 Prozent Geldmangel nennen, zitierte Boer aus einer zu Jahresbeginn veröffentlichten niederländischen Studie.
Boers Rat an Österreich: Statt "einander den Tod zu organisieren" sollte man manches lieber im Schattenbereich lassen. "Es ist nichts Falsches an einer Grauzone, an einem guten Tabu", so der Experte. Ohnehin sehe das österreichische Recht bereits jetzt mildernde Umstände im Einzelfall vor.
Quelle: kathpress